Nein, sie sind nicht riesig, die Miniaturen, die Kürzestgeschichten des Friedhelm Schneidewind. Aber »mega« ist ihre Zahl — in Friedhelms aktueller Sammlung sind gleich 100 (in Worten: hundert!) kurze und kürzeste Geschichten aus der Miniaturenreihe der Phantastischen Bibliothek Wetzlar enthalten. Da darf man gerne auch mal ein Schlagwort von Dieter B. verwenden, mit dem der in der Regel alberne Werbung macht.
Als Verleger gehöre ich auch zu einer Sorte Mensch, die nicht alles veröffentlichen, was ihnen angeboten wird. Aber es gibt durchaus Ausnahmen. So kann man bei den Miniaturen der PhB davon ausgehen, dass sie quasi vorgefiltert wurden. Man darf wohl davon ausgehen, dass Thomas Le Blanc & Co. auch nicht einfach jeden Mist veröffentlichen, der auf die Schreibtische gespült wird — im Gegenteil. Und so kann ich davon ausgehen, dass die Geschichten, die mir die Autoren, deren Miniaturen ich bislang veröffentlichte, etwas taugen — auch, wenn sie schon veröffentlicht wurden (was andererseits auch bestritten werden könnte, denn wenn man es genau nimmt, sind die Miniaturenbände der PhB gar nicht auf dem Markt).
Jedenfalls hat der Schneidewind, der Friedhelm, einen bunten Reigen Storys vorgelegt, der mehr als nur eine Vorliebe — die für SF — bedient. Dieses Buch verdient das Prädikat: »Für jeden was dabei.«
Kategorie-Archiv: Horror
Quarber Merkur 122
Der Quarber Merkur 122 ist fertig – leider mit Verspätung, und diesmal mit erheblicher Verspätung. Aber es hat sich gelohnt — der Inhalt kann sich einmal mehr sehen lassen:
Franz Rottensteiner (Hrsg.)
QUARBER MERKUR 122
Franz Rottensteiners Literaturzeitschrift für Science Fiction und Phantastik
Verlag Lindenstruth, Giessen, März 2022, 288 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 934273 12 2
EUR 17,00 im Inland, EUR 20,00 im Ausland
Franz Rottensteiner: Einleitung
Wladimir Borissow & Alexander Lukashin: Diese Welt haben nicht wir erfunden. Utopische und antiutopische Motive im Werk der Brüder Strugatzki
Jean-Pierre Laigle: Johan Vibe. Ein Wegbereiter des Zukünftigen in Norwegen
Fritz Heidorn: Science-Fiction, der Realismus unserer Zeit. Kim Stanley Robinsons »Zukunftsgeschichte«
Christian Hoffmann: Afrofantastik 2.0
Wolfgang Both: Von Science-Fiction-Romanen inspirierte Rock- und Popmusik
Marcel Schmutzler: Warum Lovecraft gerade jetzt?
Rainer Eisfeld: Faszinierende Gemälde nie geschauter Welten. Chesley Bonestell und John W. Campbell
Michael Hageböck: Fantastisches Spielevergnügen. Colloquium über analoge Unterhaltung
Detlef Thiel: Scheermatt & Dürrenbart GmbH. Ein Chiasma zu Friedrich Dürrenmatts 100. Geburtstag und zur ersten Sammlung unbekannter Texte von Paul Scheerbart seit 25 Jahren
Natsuno Tokunaga: Opfer der Wissenschaft oder »mad scientist«? Satirische Anspielungen auf Gustav Theodor Fechner und Johann Karl Friedrich Zöllner in Oskar Hoffmanns »metaphysischem Phantasieroman« Die vierte Dimension (1909)
Franz Rottensteiner: Die okkulten Detektivromane »Jack Manns«
Christian Hoffmann, Franz Rottensteiner, Matthias Schmid, Ulrich Spiegel: Der Seziertisch
Das Titelbild stammt von Enrique Meseguer (Pixabay).
Büschen
Ich erinnere mich oft nicht mehr daran, wie ein Buch zustande gekommen ist. Doch, natürlich, wie ich es gemacht habe, das weiß ich noch. Aber nicht, warum. Ruben Wickenhäuser wird gefragt haben. Ich habe den Text angelesen und angenommen. Der Rest hat sich dann von selbst erledigt. Wie immer: büschen Lektorat, büschen Korrektorat, büschen Layout, Fahnenkorrektur, Andruck, Druck, fertig.
Die Geschichte selbst konnte nur in die Reihe »Außer der Reihe« passen, denn so eine Mischung aus büschen Horror, büschen Mystery und büschen Thriller passt nicht in mein Hauptmetier, die Science-Fiction. Aber dafür habe ich ja diese Reihe, und das hat sich mitunter schon gelohnt.
Lohnenswert ist auch diese Stückchen Literatur, das in Schweden spielt und als Novelle eingestuft werden darf.
Stimmungsbild
Literatur vom Außenposten
Thomas Harbach hat sich Gerd Freys neue Storysammlung »Outpost« vorgeknöpft, das mit dem Untertitel »Dunkle Sonne 2« schon andeutet, wo es lang geht – die Sammlung versammelt Werke, die verstreut über die deutschsprachige Literaturszene bereits veröffentlicht wurden. (Und ja, Herrschaftzeiten, »Outpost« heißt »Vorposten« und nicht »Außenposten«, aber ein wenig literarische Freiheit sei mir auch gegönnt.)
Aber nun – Thomas Harbach:
Gerd Frey beschreibt in seinem Vorwort, dass »Outpost« alle Kurzgeschichten seit seiner storytechnischen Erstveröffentlichung »Dunkle Sonne« aus dem Jahr 2003 enthält. Die damals im Shayol Verlag verlegte Sammlung wird in Michael Haitels p.machinery neu aufgelegt. Die Themenbandbreite ist breit. Klassische Science-Fiction, ein wenig Fantasy und zweimal teilweise erotischer Horror.
»Saatzeit« eröffnet die Anthologie. Ein Team auf dem Mars beobachtet den Absturz oder vielleicht doch die kontrollierte Landung eines fremden Objektes auf dem roten Planeten. Der Plot steuert sehr direkt und inhaltlich konservativ auf die Pointe zu. Gerd Frey wird sich im Laufe dieser Sammlung als ein Autor erweisen, dem es vor allem auf die letzten Kapitel seiner Geschichten ankommt. Der Weg ist weniger das Ziel. Das lässt einige der Texte relativ starr erscheinen. Nicht jede Pointe funktioniert und vor allem ist es bei einigen Geschichten auch so, dass die angestrebten Pointen sich als offene Enden erweisen, aus denen sich weitere interessante Aspekte ableiten lassen.
Mit »Time Erase« präsentiert der Autor eine zweite auf dem Mars spielende Geschichte. Paul arbeitet auf dem Mars, wo wichtige Rohstoffe abgebaut werden. Wie in »Saatzeit« ist die Ausgangslage klassische Science-Fiction. Das Ende wird dagegen offen gestaltet und überlässt der Phantasie der Leser ein wenig zu sehr Raum.
Die Titelgeschichte »»Outpost« präsentiert wieder das Thema, dass ein auf sich selbst gestelltes Individuum auf einer fremden Welt auf etwas stößt, das Folgen für seine Existenz hat. Im direkten Vergleich mit »Haverie«, aber auch einer der beiden Marsgeschichte wirkt die Vorgehensweise des Autors sehr mechanisch, das Ende wirkt aber deutlich abgeschlossener als in den anderen beiden Texten.
Eine Schwäche der hier gesammelten Geschichten lässt sich bei der thematisch dritten »Da ist irgendetwas da draußen«-Geschichte erkennen. Gerd Frey nennt »Havarie« eine Retro-SF-Geschichte. Allerdings besteht sie aus bekannten Handlungsmustern, die Gerd Frey in dieser Anthologie mehrmals eingesetzt hat. Nur ist es dieses Mal eine Art Freihändler, der auf einem Stützpunkt eine Reparatur seines Raumschiffs durchführen muss und den Spuren des letzten Gastes an einen seltsamen Ort folgt. Auch hier wirkt die Pointe abrupt und irgendwie nicht harmonisch.
In »Handlungsreisende« versucht der Autor Realität und virtuelle Fiktion miteinander zu verbinden. Der Auftakt im All ist zufriedenstellend. Die Neugierde der Leser wird geweckt. Allerdings dreht sich anschließend die Handlung über mehrere Ebenen bis zur schon angesprochenen Pointe. Vor allem die zweite Hälfte versucht, zu viele zu wenig abschließend entwickelte Ideen auf einem zu begrenzten Raum zu präsentieren.
»Redukt« wirkt wie eine Mischung aus virtueller Spielsucht, David Cronenberg mit seinem Körperhorror am Ende und Anspielungen auf Lovecraft. Ein Nerd untersucht eine Reihe von gehackten Dateien, am Ende wird er gefunden. Abschließende Erklärungen gibt es auch in dieser Geschichte nicht, der gefundene seltsame Gegenstand bleibt mysteriös, der Handlungsbogen flach.
»Grauzeit« verfügt über die beste Ausgangslage aller Geschichten dieser Sammlung. Plötzlich verschwindet die Farbe aus der Welt. Die Menschen reagieren unterschiedlich auf dieses Phänomen. Gerd Frey präsentiert am Ende eine klassische Science-Fiction-Auflösung, lässt aber auch hier einige Frage offen. Aber die Exposition und vor allem die Plotentwicklung zeigt im Vergleich zu den zahlreichen konservativen Geschichten dieser Sammlung mehr emotionales Einfühlungsvermögen.
»Anomalie« spielt auf einem fremden Planeten. Zwei sehr menschenähnliche Wesen machen sich auf eine Expedition, wobei die junge Frau in einem Höhlenlabyrinth verschwindet. Ihr Begleiter kann nicht von ihr ablassen, auch wenn die Ordnungsorgane in dieser sehr strukturierten Gesellschaft sie schon abgeschrieben haben. Das Ende ist konsequent wie tragisch. Die Zeichnung der Protagonisten ist deutlich besser gelungen als bei anderen Geschichten dieser Storysammlung, allerdings folgt Gerd Frey dem »Picnic at Hanging Rock«-Weg und impliziert mehr als das er sich zu einer rationalen Auflösung entschließt. Die größte Variation schon den zu Beginn angesprochenen Texten liegt in der Tatsache, dass es sich um zwei Personen handelt und eine verschwindet. Dadurch hat der zweite Protagonist noch die Chance, auf die Suche zu gehen.
Gerd Frey hat die drei Geschichten um seinen »Abfallverkäufer« vorsichtig überarbeitet und präsentiert die Texte hier zusammengefasst. Der Autor selbst spricht davon, dass es sich um seine ersten Gehversuche als Autor handelt und die Überarbeitung den rohen Charakter nicht angegriffen hat. Auch wenn die Vorlagen dieser opportunistischen Spacer mit viel Optimismus und wenig Geld auf dem Konto klar erkennbar sind, stechen die Texte positiv im Vergleich zu einigen später entstandenen, aber deutlich bemühter wirkenden Geschichten hervor. Im ersten Teil »Optimien« findet Gerd Freys Charakter im Grunde das perfekte Volk im Universum. Sie kaufen allen Abfall auf. Allerdings steht hinter diesem seltsamen Geschäftsgebaren ein Plan, der auf lange Sicht den Abfallverkäufer eher arbeitslos macht. Die zweite Geschichte erinnert neben den verschiedenen Exkursen in die Gegenwart der penetranten Werbung auch an Kornbluthd und Pohls Meisterwerk »Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute«. Bevor die Ladung schlecht wird, sucht der Abfallverkäufer in »Werbetechniken« nach der perfekten Vermarktungsmöglichkeit. Die Dialoge sind pointiert und ironisch doppeldeutig, die Pointe überzeugt und der ganze Text liest sich ausgesprochen flott. Zu Beginn von »Regierungsfragen« hat der Leser das Gefühl, als wenn sich Gerd Frey mit seinen Absurditäten an Douglas Adams erfolgreich versucht. Anschließend muss der Abfallverkäufer fast aus dem Stand gegen eine beträchtliche Summe ein Abfallproblem eines ganzen Planeten lösen. Das Ende wirkt mit der doppelten Ironie ein wenig zu bemüht und kommt aus dem Nichts heraus. Aber die ersten Szenen der Geschichte überzeugen.
Aus dem Bereich der eher klassischen Fantasy stammt »Teufelssaat«. Kolvar erschleicht sich schließlich den Zugang zu einem fast verwunschenen Schloss, um seinen Racheplan umzusetzen. Dafür braucht er die Hilfe eines Arzts, den er mit der Entführung dessen Tochter gefügig macht. Das Ziel bleibt lange Zeit offen, ist Bestandteil der in diesem Fall konsequenten Auflösung der Geschichte. Allerdings will der Funke nicht überspringen. Einige Teile wirken konstruiert. Das müssen sie rückblickend auch sein, denn Kolvar wird mit einem Gegenplan konfrontiert, der genauso perfide ist wie seine eigenen Ziele. Allerdings wirken die Charaktere zu eindimensional entwickelt und Gerd Freys sachlicher Stil unterminiert seine Absichten, eine mit »Alraune« gewürzte geradlinige Fantasygeschichte zu verfassen.
»Anna« ist eine eher klassische Horrorgeschichte. Im Gegensatz zu dem mit Science-Fiction-Elementen versetzten »Der Skulpturengarten« ahnt der Leser das konsequente, aber auch wenig überraschende Ende nicht so weit im Voraus. Der Protagonist lernt eine junge Gothic-Frau mit einem Hang fürs Morbide kennen. Abends machen sie sich auf den Weg zu einem abgeschieden gelegenen See, wo sie nackt baden wollen. Spätestens ab diesem Moment ahnt der Leser den weiteren Handlungsverlauf.
In der unter dem Pseudonym Sybille Mayer veröffentlichen erotisch-pornografischen Geschichte »Der Skulpturengarten« besucht eine junge, natürlich sehr attraktive Journalistin einen in der Abgeschiedenheit lebenden Aufsehen erregenden Künstler, dessen Skulpturen erstaunlich lebensecht erscheinen. Bei dieser kurzweilig zu lesenden, aber auch sehr mechanisch bis auf die Science-Fiction-Erklärungen gestalteten Story erahnt der Leser lange vor der Protagonistin, in welche Richtung es geht.
Gerd Freys »Outpost« ist keine herausragende Storysammlung. Auf der anderen Seite sind die Geschichten auch nicht schlecht oder trotz des ein wenig zu emotionslosen, zu distanzierten Stils nicht langweilig. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Nur wenige Texte sind grundlegend originell und überzeugen durch eine gute Mischung aus Idee und stilistischer Balance. Viele der Texte wie »Havarie« wirken wie Retro-SF, aus einem anderen Jahrhundert ein wenig mühsam in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts übertragen. Der Funke will nicht wirklich überspringen. Entweder, weil die offenen Enden zu vage komponiert worden sind oder an anderen Stellen stark konstruiert erscheinen. Schon seine erste Sammlung »Dunkle Sonne« litt an diesem Zwischen-allen-Stühlen-Sitzen. Zusammengefasst sind es gehobene Fanzine-Geschichten, die zumindest souverän erzählt worden sind. Das interessante Titelbild von Lothar Bauer verspricht allerdings mehr, als Gerd Frey über die ganze Anthologie halten kann.
Die unendliche 16
Judith Madera, inzwischen Chefin der Website Literatopia (www.literatopia.de), rezensiert Bücher. Ja, sie macht auch das PDF-Magazin DER PHANTAST gemeinsam mit fictionfantasy.de, aber sie schreibt eben auch Rezensionen. Für das in meiner p.machinery erschienene Buch GEGEN UNENDLICH 16 hat sie mir erlaubt, ihre Rezension an dieser Stelle zu veröffentlichen. Herzlichen Dank dafür. Und los geht’s!
Die Herausgeber Michael J. Awe und Andreas Fieberg gehen mit ihrer Anthologie-Reihe »GEGEN UNENDLICH« in die sechzehnte Runde und versammeln auf knapp 150 Seiten 13 sehr unterschiedliche Kurzgeschichten zwischen Science Fiction, (Urban) Fantasy, Märchen und Horror:
»Momentum« schildert die letzten Momente vor einem interstellaren Flug aus Sicht der Astronautin. Ihr Körper soll mittels experimenteller Technologie so stark beschleunigt werden, dass für sie quasi die Zeit stehen bleibt und sie kaum altert, während sie durchs All reist. Doch was passiert mit ihrer Seele? Und ist sie diesem Experiment wirklich gewachsen? Helga Anton-Beitz eröffnet eine spannende Perspektive auf diese besonderen, entscheidenden Momente, in denen die Protagonistin von wichtigen Fragen überwältigt wird.
In »Die Passage« wird ein blinder Passagier an Bord eines Raumschiffes entdeckt: Ein stummes Mädchen, das die alte Kapitänin zu einem der heiligsten Orte des Universums mitnimmt. Michael J. Awe bietet auf wenigen Seiten eine atmosphärische und geheimnisvolle Space Opera. Unangenehm fällt auf, dass die Kapitänin abwechselnd nur als »der Kapitän« (generisches Maskulinum, warum?) und »die alte Frau« bezeichnet wird.
Lukas Vering zeigt in »137« eine überwiegend aus Plastik bestehende Stadt in der Zukunft, die der Protagonist auf der Flucht vor den streitenden Eltern erkundet. Der Klimawandel hat die Erde verwüstet und die Menschen haben woanders neu angefangen, wo sie die gleichen Fehler machen. Insgesamt ein stimmungsvolles Stadtpanorama mit kritischen Worten, allerdings vermisst man Tiefe und Persönliches.
»Silver« ist zugleich der Titel von Marjan Asgaris Kurzgeschichte und der Name der jugendlichen Protagonistin, die beim Sprayen von der Polizei erwischt und verfolgt wird. Auf der Flucht entdeckt sie das dunkle Geheimnis ihres liebevollen, aber merkwürdigen Freundes. Aus einer Sprayerromanze wird SF-Horror, der sich auf den wenigen Seiten nicht entfalten kann.
In »Der Clown« geht der Traum eines großen Fans in Erfüllung: Kulturredakteurin Sabin darf ihr Idol, den Roboterclown Cbyte, interviewen! Dieser gibt sich charmant und aus einem philosophischen Gespräch über Humor wird ein Flirt, inklusive kleiner Überraschung. Eine kurzweilige Geschichte über menschliche Züge Künstlicher Intelligenz.
»Das Ebenbild« von Joachim A. Hagen handelt von einen Klon auf der Flucht. Von den Menschen geächtet muss er sich verstecken und wird zu grausamen Taten gezwungen. Die Geschichte enthält zu viele Klischees und ist zu kurz geraten, um nachhaltig zu beeindrucken.
Luisa Henke schildert in »Frostfreden« die langsame Annäherung zweier grundverschiedener Wesen: Während die Frostfreden mit tänzerischer Leichtigkeit Kälte und Sturm trotzen, leben die Höhlenheimer zurückgezogen in Höhlen mit heißen Quellen. Einst waren sie von der gleichen Art, doch nun sind sie verfeindet und erzählen Horrorgeschichten über die anderen. Ein neugieriger junger Höhlenheimer und eine mutige Frostfrede brechen das Eis und lernen einander kennen – ein bekanntes Motiv, das hier sehr atmosphärisch und berührend umgesetzt wurde.
»Loris Wunderland« ist eher ein Albtraumland, denn Lori verfügt über paranormale Fähigkeiten, die die Nachbarschaft in Gefahr bringen. Der Vater des jungen Mädchens versucht das Schlimmste zu verhindern. Helmuth W. Mommers schildert die Liebe des Vaters zu seiner besonderen Tochter einfühlsam, während die Szenerie an Katastrophenfilme erinnert.
Nicole Grom bietet mit »Dann reißen wir aus« die düsterste Geschichte dieser Anthologie: Ein Kinderspiel wird zum Albtraum, der den Protagonisten lebenslang verfolgt. Eine beklemmende Horrorgeschichte, die Vergangenheit und Gegenwart geschickt verknüpft.
»Der Schneider« von Uwe Durst hat eine wunderschöne Frau, die ihn in seiner Werkstatt gefangen hält und ihren Zorn am ihm auslässt. Als der ruhige Schneider das dunkle Geheimnis seiner Frau entdeckt, wird es gefährlich für ihn – wird er ihr entkommen können? Ein morbides Märchen, das seinen Protagonisten in den Wahnsinn treibt.
In Jana Grügers »Der Gaukler und die Hexe« geraten zwei Schausteller in Streit: Der Gaukler meint, die Hexe vertreibe sein Publikum, und steigert sich in seinen Hass auf sie hinein – doch die Hexe ist wehrhafter, als er vermutet. Die Auflösung ist wenig überraschend, sorgt aber für eine gewisse Genugtuung.
Kurt Tichy zeigt in »Die Brille« die dunkle Seite eines liebevollen Familienvaters, der sein Doppelleben so stark auseinander dividiert, dass er geschockt auf seine eigenen Taten reagiert. Diese enthüllt ihm eine Brille mit Aufnahmefunktion, die vor fünfzig Jahren Science Fiction gewesen wäre, neben Google Glasses jedoch geradezu antik wirkt.
»Aufwachen« von Andreas Fieberg bildet den schwachen Abschluss im Stil einer schlechten »X-Faktor«-Episode: Der Protagonist wird in der Nacht von einem Anrufer belästigt, der um Hilfe bittet und immer wieder davon spricht, dass er aufwachen muss. Am Ende wird, wenig überraschend, klar, wer angerufen hat.
»GEGEN UNENDLICH 16« bietet viel Abwechslung, wobei vielen Geschichten ein paar Seiten mehr gut getan hätten. Zu oft werden Themen nur oberflächlich gestreift, es mangelt der Handlung an Tiefe und den Figuren an Persönlichkeit. Viele sind schnell vergessen, doch manche prägen sich auch ins Gedächtnis ein, wie die Astronautin, die Frostfrede und der Höhlenheimer, der Roboterclown, den Schwarzen Mann oder auch die Hexe, die den Gaukler das Fürchten lehrt. Drei der Geschichten wurden übrigens zuvor in anderen Anthologien veröffentlicht: »Der Schneider«, »Die Brille« und »Loris Wunderland« – Letztere sogar beim gleichen Verlag.
Das stimmungsvolle Cover stammt von Stefan Böttcher und gefällt so gut, dass man gerne Illustrationen von ihm im Innenteil gesehen hätte. Im Anhang finden sich die Informationen zu den Autor*innen, den Herausgebern sowie zum Illustrator.
Fazit: »GEGEN UNENDLICH 16« bietet thematisch und stilistisch sehr unterschiedliche Kurzgeschichten, von denen manche nachhaltig beeindrucken, andere gut unterhalten und manche schnell vergessen sind. Dabei wird ein großer Teil des phantastischen Spektrums abgedeckt, insbesondere der düstere Bereich.
Die finale Bewertung in Stichpunkten und Zahlen findet sich in der Quelle: hier.
Awe, Michael J. & Fieberg, Andreas (Hrsg.), GEGEN UNENDLICH 16
Vage Erinnerungen
Ich erinnere mich vage daran, dass Marianne Labisch die Geschichte aufgeschrieben hat, wie dieser Episodenroman, diese »Residenz in den Highlands« zustande gekommen ist. Ich finde den Text oder Link nicht mehr, erinnere mich nicht. Nicht mal vage. Es ging um ein Zerwürfnis und eine Trennung zweier Herausgeber, woraus zwei thematisch nicht unähnliche Projekte resultierten. Unser Projekt spielt in einer Residenz in den Highlands, das andere in einem Sanatorium sonst wo. Ich erinnere mich nicht genau.
Deutlich weniger vage erinnere ich mich an die einzelnen Episoden in diesem Roman. Die Lektüre im Rahmen meiner Layoutvorbereitungsarbeiten und während der nachfolgenden Fahnenkorrektur liegt noch nicht lange zurück. Aber selbst dann wären mir einige der Geschichten stark in Erinnerung geblieben. Während ich manchmal dazu neige, Geschichten im Rahmen dieser Layoutvorbereitungsarbeiten nur oberflächlich zu lesen und mich auf die Anmerkungen und Markierungen meines Duden Korrektors zu verlassen, habe ich diese Geschichten intensiv gelesen, was mich dann immer ein wenig irritiert, weil ich hinterher vermute, die Lektüre so intensiv genossen zu haben, dass ich eventuelle Fehler übersehen haben könnte. Man kann sich auch als Multitasker nicht auf alles gleichzeitig konzentrieren.
Bei der Lektüre ließen mich manche Geschichten und der Episodenroman insgesamt annehmen, dass er 2022 auf der Shortlist irgendeines fantastischen Literaturpreises landen müsste. Vermutlich wird er das nicht tun. Episodenromane haben gerne das Problem, dass die Leser das Konzept nicht verstehen. Sie verstehen den Romancharakter nicht, weil zu viele verschiedene Autoren daran beteiligt sind; und sie finden die Kurzgeschichten – die es tatsächlich eben nicht gibt – nicht gut, weil sie sich zu ähnlich sind. Irgendeinen – notfalls auch anderen – Grund findet sich immer, einen Episodenroman schlechter zu bewerten, als einen x-ten Teil eines Schwartenzyklus. Nun ja, gut, das ist jetzt gehässig. Möglicherweise. Ich werde überlegen, ob ich mich irgendwann vage daran erinnern sollte, dass das so sein könnte. Gehässig.
Labisch, Marianne & Scherm, Gerd (Hrsg.), DIE RESIDENZ IN DEN HIGHLANDS
Texte für GEGEN UNENDLICH gesucht
Auf meiner Verlagsseite habe ich soeben eine neue, recht kurz laufende Ausschreibung für die GEGEN-UNENDLICH-Anthologie 17 veröffentlicht:
GEGEN UNENDLICH ist der Tradition der kurzen Form verpflichtet und bringt Kurioses, Skurriles, Bizarres, Absurdes und Abseitiges aus allen Bereichen der Fantastik, vorzugsweise in Erstveröffentlichung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer allgemein gehaltenen Literatur des Unheimlichen und Wunderbaren, bei der das Irreale »in homöopathischer Dosierung« (Cortázar) verabreicht wird.
GEGEN UNENDLICH versteht sich als ein Kurzgeschichtenmagazin, in dem vor allem das Ungewöhnliche, Neu- und Andersartige seinen Platz findet. Dabei bietet es auch bislang unentdeckten Talenten die Möglichkeit, neben etablierten Autoren zu publizieren, denn das Entscheidende ist ein guter Text – fantastisch und mitreißend.
Wir sind ständig auf der Suche nach frischen Texten, kreativen Ideen und originellen Einfällen, die auf einem handwerklich hohen Niveau umgesetzt wurden und dazu geeignet sind, dem Genre neue Impulse zu geben. Für die kommende Ausgabe werden noch Beiträge gesucht. Die Wahl der Themen ist freigestellt, überraschen Sie uns! Einsendungen (mit einem Umfang zwischen 5.000 und 40.000 Zeichen) bitte bis zum 31. Oktober 2021 an den Herausgeber Andreas Fieberg unter gegen_unendlich@gmx.de.
Unwiderruflich
Gestern habe ich mit den Arbeiten an meiner unwiderruflich letzten – und gleichzeitig meiner hundertsten – Ausgabe der ANDROMEDA NACHRICHTEN des SFCD, des »Science Fiction Club Deutschland« e.V. begonnen. Es ist nicht anzunehmen, dass der Verein bereit ist, mich für meine Dienstleistung zu bezahlen, sodass es keine Ausgabe 275 aus Winnert geben wird. Die 274, die wohl Anfang August an die Vereinsmitglieder verschickt wird, wird meine letzte Ausgabe gewesen sein.
Die Arbeiten beginnen mit Standardaufgaben. Texte sichten, zusammenstellen, einzelne Dateien (eine pro Themensparte) bauen, Korrekturlesungen, ein wenig Lektorat geht auch immer – und vor allem wird entgendert, denn einiges Material – allem voran: Pressetexte – ist heutzutage schlicht und ergreifend nicht mehr lesbar, sofern man einem Text nicht hilft, zur offiziellen deutschen Rechtschreibung zurückzukehren.
Gekommen bin ich gestern bis zum »Reissswolf«, Michael Baumgartners Rezensionssparte. Bei den Texten war auch eine Asimov-Kellerbar-Story von Klaus Marion, ein allerliebster Text, mit dem er sich bei Ralf Boldt und mir für unsere Dienste im SFCD bedankt.
Heute folgt noch die »Schlachtplatte« mit den Rezensionen, die nicht über Michael Baumgartners Tisch gelaufen sind, sowie die »Story:Files«, die in dieser Ausgabe sehr umfang- und zahlreich ausfallen werden.
Eine Ausschreibung in Sachen Cthulhu
»Chrononomicon«
Eine historische Cthulhu-Anthologie
Schon seit Urzeiten bedrohen die Alten Götter und andere mächtige Wesen aus anderen Dimensionen die Erde und ihre Bewohner. Sie wollen diese Welt zerschlagen, die Erde bersten lassen, das Leben verbrennen …
Habt ihr euch jemals gefragt, was passieren würde, wenn die Alten Götter aus H. P. Lovecrafts Universum auf mutige Menschen der Antike, des Mittelalters oder gar der Steinzeit treffen würden? Ägypter, Germanen, Inkas, Kelten, Römer, Wikinger? Ja? Dann bieten wir euch die Möglichkeit, diese Fantasien auf Papier zu bringen.
Der Herausgeber Detlef Klewer sucht für die historische Cthulhu-Anthologie »Chrononomicon« gemeinsam mit dem Verlag p.machinery originelle Crossover-Geschichten zu diesem Thema. Verbindet historische Elemente mit den Horrormotiven kosmischen Schreckens!
- Die Geschichten müssen in einem historisch korrekten Setting erzählt werden – also keine Fantasy. Der Zeitrahmen erstreckt sich vom Anbeginn der Menschheit bis 1700. Zudem muss ein erkennbarer Bezug zum Lovecraftschen Œuvre vorhanden sein.
- Zu jeder ausgewählten Geschichte wird zudem eine individuelle Illustration angefertigt.
- Die Geschichten müssen bisher unveröffentlicht sein (Print, E.Book, Internet), die Länge sollte sich zwischen minimal 20.000 und maximal 40.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bewegen. Jede/r Autor/in darf nur eine Geschichte einsenden.
- Die Manuskripte sind bitte bis zum 30.09.2021 – 23.59 Uhr – an Detlef Klewer (necrosteam@kritzelkunst.de) unter dem Stichwort »Chrononomicon« zu senden.
- Die Anthologie wird von Detlef Klewer herausgegeben und im Verlag p.machinery zu Winnert verlegt werden. Sofern oben nicht anders genannt, gelten die Bedingungen für Ausschreibungen unter www.pmachinery.de/unsere-projekte/projektbedingungen und die Anforderungen an Manuskripte unter www.pmachinery.de/unsere-projekte/manuskripte.
- Jegliche Korrespondenz wird bitte mit dem Herausgeber geführt.