Die Geächteten, Schülp, 07.06.

Hillary Jordan
DIE GEÄCHTETEN
(When She Woke, 2011)
Bastei Lübbe, Köln, November 2013, aus dem Amerikanischen: Annerose Sieck, Taschenbuch, 415 Seiten, ISBN 978 3 404 16894 1

»Sie haben keine Rechte. Keinen Status. Keine Zukunft.« Dieser Slogan auf der Buchrückseite trifft es einmal mehr nicht.
Die Lage in der Welt könnte man als ernst bezeichnen. Los Angeles liegt in radioaktiven Trümmern, und die Menschheit hat eine Reihe von biologischen Katastrophen hinter sich, die unter anderem zu Nachwuchsproblemen führten. Inzwischen ist die Welt gut zur Hälfte in religiösen Dogmen versunken – ohne den Herrn geht praktisch nichts mehr, und wer nicht irgendeinem Glauben sein Leben gewidmet hat, hat Probleme.
Für die Handlung des Romans wichtiger ist die Tatsache, dass man – wohl nur in den USA, das wird nicht eindeutig hervorgehoben (erst später wird klar, dass Kanada anders handelt) – begonnen hat, Verbrecher nicht mehr einzusperren, sondern durch einen Virus (haut-) farblich zu verändern. Jede Farbe steht für eine Verbrechensklasse, und Rot steht für Mord.
Hannah Payne, die Hauptfigur, aufgewachsen in einem streng religiösen Haushalt, erzogen, eines Tages das Heimchen am Herd zu spielen, hat sich mit einer bekannten Persönlichkeit eingelassen und wurde schwanger. Sie ließ das ungeborene Kind abtreiben – und wurde dazu zu sechzehn Jahren verurteilt. Diese sechzehn Jahre muss sie nun als Rote überleben – während die Gesellschaft mit den sogenannten »Verchromten« weitgehend anstellen kann, was sie möchte.
Der eingangs erwähnte Slogan trifft es insofern nicht, weil es durchaus eines gibt: eine Zukunft. Der Weg in diese ist zwar nicht ganz einfach, aber es ist ein Weg.

Der Stil des Textes ist anfangs schleppend, schwerfällig. Die Flüssigkeit wird durch zahlreiche, nicht sonderlich hervorgehobene oder getrennte Rückblenden erschwert; die Art dieser Präsentation würde zu einer Erzählung in Ich-Form passen, nicht jedoch zu dieser Erzählerperspektive. Erst etwa im zweiten Drittel, als die wichtigsten Dinge der Vorgeschichte geklärt sind, nimmt die Geschichte Fahrt auf, wenn Hannah, das Hascherl, nach und nach anfängt, eigene Ansichten zu entwickeln, sich auf eigene Füße zu stellen und eigene Entscheidungen zu treffen. Was auch dringend nötig ist.
Auf der Buchrückseite ist sich die Presse wieder einmal einig. Es handle sich um einen »beängstigend realen Dystopie-Thriller, der lange nachwirkt«. Ich sehe das anders. Die Wirkung hat gleich nach dem Ende der Lektüre nachgelassen, und um einen Thriller handelt es sich so gesehen auch nicht. Dystopisch ist die Gesellschaft, die beschrieben wird, allemal, aber das ist einfach, wenn man allen Lebensbereichen in der Beschreibung einfach ein religiöses Korsett über- und dann ordentlich strammzieht. Für meinen Geschmack war das übertrieben, selbst unter dem Gesichtspunkt, dass man eine extreme Gesellschaft beschreiben wollte. Dystopien wollen meiner Ansicht nach auch immer ein wenig Glaubwürdigkeit transportieren, und das gelingt hier nicht mehr, denn ich persönlich jedenfalls glaube nicht, dass es irgendeine Katastrophe gibt, die die Menschheit insgesamt in einen solchen religiösen – sorry – Sumpf führen wird.
Die Grundidee des Buches – die »Chromierung« von Verbrechern – hat mir gefallen. Die Umsetzung nicht uneingeschränkt. Oder anders ausgedrückt: Aus der Idee hätte man vielleicht noch mehr machen können.

P.S.: Zwei Dinge noch. – Zum einen ist mir auch negativ aufgefallen, dass die Geschichte im Großen und Ganzen zu vorhersehbar ist. Es gibt zwei Stellen im Buch, an denen Hannah in eine Falle läuft, und der Plot zuvor ist so offensichtlich, dass man als Leser gar keinen Zweifel hat, dass hier die Falle kommt – et voilà! Und natürlich ist auch klar, dass das mit den Fallen nicht klappt, weil das Buch noch nicht zu Ende ist. – Zum anderen wird die Geschichte insofern unglaubwürdig, als Hannah von ihren Rettern eindeutige Anweisungen hatte, was ihren Umgang mit Menschen und Kontakten aus ihrer Vergangenheit anging. Diese Anweisungen hat sie nicht nur in einem Fall eindeutig ignoriert, sie ist sogar noch hingegangen und hat gegenüber der Person, mit der sie da verbotenerweise noch einmal Kontakt aufnahm, Bemerkungen gemacht, die mich jedenfalls (als denkbaren Kenner der beschriebenen Gesellschaft Amerikas und der dort vorzufindenden Politik) sofort darauf gebracht hätten, um welche Gruppe es ging. Und die Person – ich will ihre Identität nicht verraten – hat auf jeden Fall die erforderlichen gesellschaftlichen und politischen Kenntnisse, um sich einen Reim darauf zu machen. Dass es nicht geschieht, ist für mich eben nicht glaubwürdig. (Und dass das kurz vor Ende des Buches stattfindet, ist keine Entschuldigung.)

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