Historie mit Morgenland, ohne Johanniter

Christiane Lind
DIE GELIEBTE DES SARAZENEN
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2010, Taschenbuch, 384 Seiten, ISBN 978 3 499 25459 8

Ich kam mit Christiane als Chris Lind in Kontakt – im Rahmen der Arbeiten an STORY CENTER 2009 –, und da ich ihren wirklichen bürgerlichen Namen kenne, wunderte ich mich gleich über das »Christiane Lind« auf dem Umschlag –, denn auch das ist nicht der vollständige Name der Autorin Christiane Lindecke. »Chris Lind« als Kurzform finde ich toll und gelungen, Christiane Lindecke wäre auch noch okay – aber diese Hybridform, die Rowohlt wohl verlangte, erscheint mir zu sehr … hybrid.

Unabhängig davon war es mir eine Freude, ihren ersten Roman – den sie auch gleich bei Rowohlt unterbringen konnte, immerhin – lesen zu dürfen, bevor er offiziell – am 01.06.2010 – auf dem Markt erschien. Ich habe mich nicht beeilt, nicht beeilen müssen – dass es mir vor dem Stichtag gelungen ist, den Roman nicht nur fertig zu lesen, sondern auch zu rezensieren, das ist eindeutig auch die Schuld des Buches und seiner Autorin.
DIE GELIEBTE DES SARAZENEN ist ein historischer Roman. Es gibt solche Romane zuhauf. Manche erweisen sich als gähnend langweilig, weil sie sich viel zu sehr auf die Präsentation historischer Fakten und die Beweisführung ihrer Richtigkeit konzentrieren, und es gibt andere, die sich als indiskutabel erweisen, weil sie mangels einigermaßen vernünftiger Recherchen jegliche Authentizität vermissen lassen müssen.
Chris‘ Werk ist keine Faktensammlung, aber es kann als sicher gelten, dass sie sich an Fakten messen lassen kann. In dem Roman geht es um Leonore, die Tochter eines Braunschweiger Fernhändlers im 12. Jahrhundert. Ihr Vater holt sie aus dem Kloster, in dem sie hoffte, ihr Leben verbringen zu können, um sie mit einem unfreundlichen, abweisenden anderen Fernhändler zu verheiraten, dem sie noch nicht mal den standesgemäß verlangten Thronfolger bieten kann – sondern nur eine Tochter, Blanche. (Ein Name übrigens, den ich nicht für authentisch halte, denn Blanche ist ein französischer Name, und die Franznasen waren im 12. Jahrhundert einfach noch nicht hip.)
Geschlagen mit ihrem Ehemann und einer widerwärtigen Schwiegermutter (der ich persönlich selbst im 12. Jahrhundert bei der ersten Bemerkung was zwischen die Kauleisten gegeben hätte) liebt sie ihre Tochter Blanche abgöttisch und muss verzweifelt mit ansehen, wie unbekannte Fremde aus dem Orient – Sarazenen – nicht nur ihren Mann, sondern auch ihre Tochter entführen.
Verzweifelt sucht sie nach Unterstützung, Mann und Tochter zu retten, und sie findet sie schließlich in dem Ritter Gottfried, der gemeinsam mit einer Frau namens Adelheid und Leonore bereit ist, eine Reise in das Heilige Land anzutreten, wo Leonore – getarnt als Pilgerin – versuchen will, ihren Mann und vor allem ihre Tochter aus den Händen der Sarazenen zu retten.
Im 12. Jahrhundert war es nicht einfach zu reisen, und so gestalten sich der Marsch gen Venedig und die nachfolgende Seereise gen Akkon abenteuerlich. Leonore geht kurz vor dem Ziel in einem Sturm über Bord und wird ausgerechnet von Sarazenen gerettet. Und auch das weitere Geschehen hat mehr Haken und Ösen, als man sich in einer Handlungszusammenfassung vorstellen möchte –

Die Geschichte hat – unabhängig von ihrem »historischen« Charakter – klassische Elemente von Questen aller Art. Die zentrale, die Hauptfigur wird einer Situation ausgeliefert, die sie nicht hinnehmen möchte. Leonore kämpft trotz aller Schwierigkeiten tapfer und mutig gegen die Unbilden des Lebens an. Das Mädchen, das völlig unerfahren aus dem Kloster herausgerissen und in die Welt gestoßen wurde, entwickelt Fähigkeit und einen Willen, den man ihr auch als Leser anfangs nicht zutraute, den man aber eben auch als Leser sehr schön in seiner Entwicklung miterleben kann.
Am Ende belohnt die Geschichte den Leser nicht nur mit einem spannenden Abenteuer vor historischem Hintergrund, sondern auch mit einem Happy End jenseits jeglichen Schmalzes und Schmonzes, sondern in einer Machart, die man sich öfter wünschen würde: kurz, knapp, fast ein wenig trocken, sanft, romantisch schimmernd, kurz: angenehm zu lesen und angenehm die Fantasie anregend.

Chris‘ Schreibe hat, wie sie selbst erwähnt, ein gutes Lektorat genossen, und das merkt man. Basierend auf einer grundsätzlich guten Schreibe – ich habe sie ja nun auch schon lektoriert – entstand ein Text, der nichts vermissen lässt. Manchmal mag man sich überlegen, ob diese Klischees die da durchscheinen, wirklich sein müssen, aber bei näherem Überlegen wird einem klar, dass Frauen im 12. Jahrhundert eben nicht lebten, wie Frauen es im 20. und 21. Jahrhundert taten und tun, und beim weiteren Überlegen wird einem klarer, dass die ganze Welt zur damaligen Zeit ganz anders tickte. Manchmal mag man kritisieren, dass Chris Lind es vielleicht einen Ticken zu spät gelang, dieses Bewusstsein beim Leser hervorzurufen, andererseits weiß ich nicht, ob das dem Flair des Buches nicht abträglich gewesen wäre, diese Spannungszone zwischen unseren realweltlich-heutigen Erwartungen und der geschilderten Wirklichkeit des 12. Jahrhunderts auszuräumen.
Geschickterweise hat sich Chris in ihrem Roman nicht allzu tief in die historischen Gefilde von Braunschweig und Fernhändlertum, von Heiligem Land, Jerusalem, Sarazenen und Templern begeben, sondern diese Themenbereiche eigentlich eher genutzt, um ihre Geschichte in einem Ambiente, über das man sich anderenorts in jeder gewünschten Weise tief greifender und umfangreicher informieren kann, festzumachen, quasi festzupinnen. So hängt DIE GELIEBTE DES SARAZENEN gekonnt in dem Umfeld, das man so über diese unseligen Kreuzzüge der Christen, die sich ja heute noch nicht minder wichtig nehmen als die Moslems mit ihrem unsäglichen Heiligkriegsgehabe – das sie möglicherweise ja auch erst von den Christen lernten –, weiß, gelesen, gesehen, gehört hat und an vielfältigen Orten nachprüfen kann.
Unter anderem übrigens auch in Chris‘ eigener Literaturliste, die neben einer »Dramatis Personae« am Buchanfang, Karten von Braunschweig und Jerusalem am Ende und einer Danksagung ebenda quasi als kleine Draufgabe zu finden ist.

Abgesehen davon, dass ich historische Romane, in denen keine Johanniter oder Malteser die Hauptrolle spielen, eigentlich nicht sonderlich interessant finde, bot Chris‘ Werk eine höchst kurzweilige, gut zu lesende, spannende, wenn auch nicht immer unvorhersehbare Literatur, die ich nur jedem weiterempfehlen kann, der auf diese Art von Literatur steht. Für weibliche Leser ist das Werk auf jeden Fall geeignet, auch ohne Hang zu historischen Werken: Selbst mir lugte an zwei, drei Stellen ein Tränchen im Augenwinkel aus dem Tränensack, was dem Roman keinesfalls zum Nachteil, sondern der Autorin zum Vorteil gereichen sollte, denn diese wenigen Tränendrüsendrückerchen waren geschickt platziert und gefühlvoll umgesetzt. Und was die seinerzeitige Problematik des Umgangs der Angehörigen der verschiedenen Religionen unter- und miteinander angeht, ist der Roman nicht nur authentisch – wie ich aus meinen Studien der Johanniter- und Malteser-Literatur weiß und daher abschätzen zu können glaube –, sondern stellenweise vielleicht sogar ein wenig zu liberal. Aber das wäre wohl zu beweisen –
Wenn ich Sternchen vergeben müsste, gäbe es für diesen Roman – der noch dazu wohl keine Trilogie wird – immerhin 9 von 10. Der fehlende Punkt ist den fehlenden Johannitern geschuldet.

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