Voreilige Spannung

Matthias Falke
DER SCHWARM AUS STAHL
Ein TITAN-STAR-VOYAGER-Roman. Blitz Verlag, Herbst 2010.

Es war mir in der Tat noch nie vergönnt, einen Roman zu lesen, bevor er überhaupt auch nur ansatzweise auf dem Weg auf den Markt war. Naja, das ist jetzt auch wieder übertrieben. Ich hatte dank Jörg Kaegelmann, dem Cheffe des Blitz Verlags, die Gelegenheit, den Text für den nächsten Titan-Star-Voyager-Roman, der wohl im Herbst 2010 auf den Markt kommen wird, zu korrigieren und zu lektorieren, und das lustigerweise – oder sinnvollerweise? -, nachdem ich über den Vorgänger in marginaler Art und Weise doch ein kleines Bisschen zu meckern hatte.

Wie auch immer. Ich durfte den Roman lesen, korrigieren, lektorieren, und bislang hat mir niemand einen Trupp Bosnier auf den Hals geschickt, um das daraus resultierende Problem aus der Welt zu schaffen. Insofern darf ich mich glücklich schätzen, das Werk schon jetzt auch zu rezensieren, obwohl es noch ein paar Monate dauern wird, bis es überhaupt auf den Markt kommt. Aber das macht nichts. Wenn es dann so weit ist, spüle ich diese Rezension einfach wieder hoch, und damit hat es sich. Und ihr könnt das Buch kaufen, kaufen, kaufen, kaufen …
Und witzigerweise lohnt sich das sogar. Ohne Scheiß.
Es ist natürlich schwierig, einen Roman zu rezensieren, von dem noch gar nicht sicher ist, in welcher Form er wirklich erscheinen wird. Mir lagen zwei Texte vor: der Haupttext zu »Der Schwarm aus Stahl«, was nach dem Stand der Dinge wohl auch der Romantitel sein wird, sowie »Krakenplanet«, eine »eingeklinkte« Handlung innerhalb des Romans. Im Haupttext waren die Punkte erkennbar, an denen der »Krakenplanet« eingebaut würde, aber eben noch nicht, wie und in welcher genauen Reihenfolge.
Egal. Das macht es nur spannender.

Der Vorgänger, »Der Virenplanet«, war bekanntermaßen nicht so mein Fall. Ein offensichtlich älteres, gewachsenes und leidlich gut beschriebenes Universum mit Personen und Figuren, mit denen ich nichts anfangen konnte. Im »Schwarm« kann ich mich nicht mehr rausreden, denn die Figuren aus dem »Virenplanet« sind da, und ein paar Figuren, die grundsätzlich mit der TITAN, dem den Seriennamen gebenden Raumschiff, zu tun haben.
Die Handlung läuft zunächst auf drei Ebenen. Der Roman beginnt mit einer furiosen Actionszene, die so schön und ausführlich beschrieben ist, dass man sie sich beinahe bildlich in Filmbildern vorstellen kann. Hauptfigur ist hier Mirkko Mirsoian, zunächst undurchsichtiger Agent welcher Kontrahentenpartei auch immer. Er bucht sich in die Community von Zizzis Moses, der Tochter des Pfauen – ja, es müsste »Tochter des Pfaus« heißen, das weiß ich, ihr Klugnasen; so heißt es aber nicht –, ein und kommt ihr, der Tochter des Ex-Magnaten der LUNADOCKS näher, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Zizzi & Co., das sind die ehemaligen Eigentümer des Raumschiffs RAHEL, das im Vorgänger »Der Virenplanet« von der TITAN-Mannschaft, von Cyberjohn Five, Kris Coonen und Aury geklaut wurde.
Die RAHEL bildet auch den zweiten Handlungsort, der anfangs eine Rolle spielt. Die Handlung hier beginnt über Moses, wo die RAHEL geklaut wurde und ein wackliger Frieden zwischen den Kontrahenten herrscht. Cheffe vons Janze bestimmt dann, daß die TITAN auf die eine Mission geht; die RAHEL soll sich auf krummen Wegen irgendwohin verkrümeln, wo man sich mit dem Vehikel auseinandersetzen kann.
Die TITAN fliegt das System 1205 an, findet dort einen Planeten mit einer Bevölkerung aus »Kraken« und einen Menschen, der dort über ein Jahr »über«lebte.
Die RAHEL hingegen springt kreuz und quer durch die Gegend, um nicht mehr auffindbar zu sein. An Bord der raumfahrenden Jüdin sind Cyberjohn »Cy« Five, Kris Coonen und sein Azubi Aury, sowie der Prof. Und eine KI namens KIRA, die nicht KIRA bleibt, sondern LILIAN wird – und hier taucht eine Figur aus dem »Virenplanet« wieder auf: LILIAN, die Botenintelligenz, die Ceccyl bewohnte und letztlich auf dem Gewissen hatte.
Am Ende ist die RAHEL weg. Ausgebüchst. Abgehauen. Drecksweib, damisches, das ist ein Ausruf, der an der Stelle wirklich angebracht ist. Die RAHEL kehrt in die moses’schen heiligen Hallen zurück, und Cy & Co. bleiben auf einem Planeten zurück, auf dem sie mit dem »Schwarm aus Stahl« in Berührung kommen, einem »Schwarm« der etwas mit den »Schwarzen Raumern« zu tun hat, die im Vorgängerroman schon erwähnt wurden und für Fragezeichen verantwortlich waren – und es nach wie vor sind, nebenbei. Da kommt noch einiges auf den Leser zu …
Der TITAN gelingt es schließlich, Cy & Co. vom Schwarmplaneten – nicht zu verwechseln mit dem »Krakenplanet«, den ich oben erwähnte – zu retten. Der Showdown findet dann auf Moses statt, mit Zizzi »Pfauentochter« Moses, Mirkko Mirsoian und allen anderen Figuren.

Wow! Das war und ist eine angemessene Reaktion. Es ist ein Riesenunterschied, ob man ein fertiges Buch in die Hand nimmt und liest, oder ob man einen Text korrigiert und lektoriert; im letzteren Falle taucht man viel tiefer in die Szenerie ein, so jedenfalls mein Eindruck im Nachhinein. Mir persönlich hat es jedenfalls nicht nur gut gefallen, sondern auch ganz eindeutig gut getan – was diesen Roman anging.
Beim »Virenplanet« hat mir insbesondere die eingeklinkte Handlung um LILIAN und Ceccyl nicht gefallen; das Problem gibt es im »Schwarm« überhaupt nicht. Der Roman ist aus einer Feder, der von Matthias Falke, und auch, wenn der meinte, er hätte mit dem »Krakenplanet«-Teil so seine Probleme gehabt – und auch ich finde, dass er ein wenig gegenüber dem Haupttext abfällt –, so ist davon nicht wirklich viel zu bemerken. Der Guss dieses Romans ist deutlich homogener, aufeinander abgestimmter, einheitlicher, sauberer als der des»Virenplanet«.
Hatte ich beim Vorgänger noch das Problem, dass ich eigentlich nicht wusste, worum es überhaupt ging, so fehlte das hier völlig. Ich kann das nicht vollständig auf die Lektüre des »Virenplanet« zuvor zurückführen; insgesamt wirkt der »Schwarm« deutlich offener Lesern gegenüber, die die Vorgeschichte nicht kennen. Es gibt weniger Andeutungen, die man erklärt haben möchte, es gibt weniger Unwägbarkeit, was wann wo mit wem und in welchem Zusammenhang geschah und was man vielleicht wissen sollte, auf gut Deutsch: Der »Schwarm« ist als Roman deutlich eigenständiger als der Vorgänger. Natürlich können Vorkenntnisse hier wie da nicht schaden, aber der »Schwarm« ist in der Beziehung handzahmer.
Und er ist beeindruckender. Ich weiß nicht, wie lange Falke für die Serie schon schreibt, was er schon alles geschrieben hat; wir kennen uns sooo lange noch nicht, und ich kenne aus der Serie nur seinen »Virenplanet«. Aber was der gute Matthias hier hingelegt hat, ist – selbst unter Berücksichtigung des leicht schwächeren »Krakenplanet« – sackengut. Da ist Spannung drin, wo sie reingehört; da ist Action, Suspense, Magie, alles, was man sich in einem Hard-SF-Roman dieser Gattung wünscht, am richtigen Ort, in der richtigen Ausprägung, im korrekten Stil. Das ist auf dem Sektor Hard-SF ein Roman, den man mit seinem Lieblingsmodel vergleichen könnte, so man eines hat; bei mir wäre es die Schiffer. Vielleicht mit dem einen oder anderen Schönheitsfehler, aber das wäre ein zu großes T-Shirt, eine falsch sitzende Haarlocke, ein zu mädchenhaftes Grinsen (für das die Schiffer auf manchen Fotos berüchtigt ist).

Im Endeffekt kann ich jedem, der auf Hard-SF steht, der die Serie eh kennt oder der sich vielleicht gerade jetzt im Herbst dafür interessiert, nur empfehlen, sich das Werk zuzulegen. Zusammen mit dem Vorgänger, »Der Virenplanet«, macht das Stück auch ein gutes Geschenk aus. Vielleicht zu Weihnachten oder so. Keine Ahnung. Auch, wenn ich vielleicht durch die Korrektorats- und Lektoratsarbeit daran tiefer eingestiegen bin, als ein 0815-Leser das normalerweise macht, kann ich das Buch nur als gutes Stück deutscher Science Fiction weiterempfehlen. Matthias Falke ist eh ein Autor, der noch von sich reden machen wird – wenn er es nicht schon getan hat (immerhin Nominierungen in allen deutschen SF-Preisen 2010 mit seiner Story »Boa Esperança«, der Titelstory des zweiten Bandes meines STORY CENTER 2009 … stolz, stolz, stolz!) –, und auch »Der Schwarm aus Stahl« wird dazu beitragen, seinen Ruf als fantastischer Autor zu festigen.

Ja, richtig, über die TITAN im System 1205 schrieb ich nichts mehr. Aus gutem Grund. Mir ist nicht ganz klar, welche Bedeutung die Handlung hat. Berücksichtige ich aber, was aus Ceccyl und vor allem LILIAN im »Schwarm« geworden ist, was im »Virenplanet« völlig unklar und undurchsichtig war, dann gehe ich davon aus, dass diese Handlung – über die es an dieser Stelle mehr auch gar nicht zu sagen gibt, außer, dass sie spannend und SF-abenteuerlich war und ist – in einem der nachfolgenden Bände durchaus noch eine Rolle spielen wird. Das Kreuz der Serie – die Abhängigkeit der einzelnen Werke voneinander und zueinander lässt sich halt nicht wirklich vermeiden.
Aber ich würde sagen: Ei drüber.

Nachbemerkung. Die Buchdaten fehlen natürlich noch. Das Cover auch. Und überhaupt. Wenn das Buch beizeiten aufm Markt ist, liefere ich all das nach und verlinke auch noch einmal auf diese Rezension. Bis dahin könnt ihr es halten, wie ich es mit dem nächsten Rickman-Roman halte – der so um die gleiche Zeit wie der »Schwarm« kommen sollte: bibbern, zittern, gespannt warten, Tee trinken, besser noch: Allohol zu sich nehmen und: Don’t panic.

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