Einmal am Tag dürfen die beiden Mädels frei laufen, das heißt: ohne Leine. Sie tragen dann GPS-Tracker am Körper, obwohl der letzte wirkliche Bedarf noch in Bayern auftrat; hier in Nordfriesland ist es offensichtlich zu ungünstig, stundenlang in irgendeinem Wald … ähm, ja, es liegt daran, dass die Wälder ein wenig rarer gesät sind.
Normalerweise macht den Freilauf Frauchen während des morgendlichen Gassigangs. Es geht Richtung Norden aus Winnert raus, gleich zwei, drei Häuser weiter geht es in die Felder. Dort dürfen sie laufen.
Wenn ich den Freilauf zu bewältigen habe, geschieht dies meist mittags. Gewohnheit. Oder so.
Naomi läuft meist hinter mir. Schnüffelt viel, was sie sowieso tut. Nutzt die Gelegenheit, nicht ständig weitergezogen zu werden, weil sie zu lange schnüffelt und Kim sich langweilt, während sie warten muss. Ab und zu läuft sie auch vornweg, dann sprintet sie kurz, bleibt schlagartig stehen – Vollbremsung – und schnüffelt.
Und Kim?
Früher sie vorneweg gelaufen und hat erst an einem der Punkte angehalten, an denen es normalerweise ein Leckerli gibt. Sie hat nicht nur ein ausgezeichnetes Gedächtnis dafür; auf neuen Strecken – auch ohne Freilauf – interpretiert sie Einmündungen und Kreuzungen durchaus korrekt als denkbaren Leckerlipunkt. Wie auch immer –
Gestern hat sie Nerverl gespielt. Sie ist drei, vier Meter vorausgelaufen, stehen geblieben, hat gewartet, bis ich bei ihr war, ist dann seitwärts vor mir her gehüpft, während sie mich ununterbrochen anblickte, bis ich mit den Händen winkte oder »Geh!« sagte oder »Es gibt nichts!« oder etwas in der Art. Das hat dann allerdings wieder nur für drei, vier Meter gereicht – und das Spielchen ging von vorne los.
Am Ende hat’s mir dann gereicht. Und den Rückweg hat sie zurückgelegt wie immer: vorausgelaufen, bis zum Leckerlipunkt – einen hat sie sogar ausgelassen, ui! – und fertig.
Nerverl.
So ein Gassigang ist anstrengend.
Sowieso, weil ich ganz anders laufe als mit den Hunden an den Leinen.
Und dann dieses ständige »Geh! Geh! Geh!«
Aber was will ich machen? Wie sie vor mir herhüpft, das sieht schon lustig aus.
Und lieb habe ich sie ja sowieso –
P.S.: »Nerverl« kommt aus dem bayerischen Lautuniversum und ist eine Verniedlichung von »Nervensäge«, ohne diesen Begriff wirklich repräsentieren zu wollen. Ein Nerverl ist etwas oder jemand, der einen vielleicht mal nervt, den man aber inniglich lieb hat. Oder so ähnlich.