Keine Frauen, keine Kinder, keine Bären

Bill Bryson
PICKNICK MIT BÄREN
A Walk in the Woods
Wilhelm Goldmann Verlag, München, 1999, Goldmann TB 44395, 344 Seiten, ISBN 978 3 442 44395 6

Welche Auflage des Buches mir genau vorlag, kann ich nicht nachvollziehen. Bei der Suche nach einer Coverabbildung habe ich diverse gefunden, allesamt in grottigen Auflösungen. Bei Goldmann selbst gab es die rechte Abbildung; die linke des Buches, das mir vorlag, habe ich selbst gescannt.
Dass ich das Buch überhaupt gelesen habe, ist meiner besseren Hälfte zu verdanken. Sie wollte es eigentlich für ihren Lesezirkel goutieren, fand es aber langweilig, las – nach ihren Worten – etwas vorne, etwas in der Mitte und etwas hinten und war dann der Ansicht, das Buch gelesen zu haben. So einfach geht das ja nun nicht, dachte ich mir, las es selbst und kann keine ihrer Kritiken, gleichgültig wie en detail formuliert, nachvollziehen.

Der Appalachian Trail, kurz AT, ist einer der längsten Weitwanderwege der Welt – über 3500 oder 3400 oder jedenfalls weit mehr als 3000 Kilometer ist er lang; über die genaue Länge gibt es unterschiedlichste Informationen. Von Georgia bis Maine, durch 14 US-amerikanische Bundesstaaten der Ostküste führt der Weg – ein Trail, über den es viele Fakten zu vermitteln gibt. Was der Autor in seinem Buch vollführt, ausführlich, umfassend – und das waren auch die Punkte, die meine Holde nach ihren Worten am meisten gelangweilt haben, und die ich wiederum als einen wichtigen und hochinteressanten Bestandteil des Buches verstanden habe.
Ansonsten geht es im Grunde um Brysons Vorbereitungen eines Marsches über den Trail, angefangen im Süden, in Georgia, endend in Maine, im Norden, um den Marsch selbst und um viele Ereignisse und Befindlichkeiten drum herum. Zu den Vorbereitungen gehört natürlich die Beschaffung und Lektüre von Karten und einschlägigen Büchern. Zu diesen gehören auch Werke über Bären, deren Besonderheiten, die Gefahren, die durch sie entstehen, und Geschichten, die sich in der Vergangenheit ereignet haben. Bryson ist von diesen zahllosen Informationen, die es über den Trail zu wissen gibt, beeindruckt, von den Schilderungen über Bären und andere Wildtiere erschüttert, aber während Otto Normalweichei damit rechnen würde, dass Bryson in seiner Erschütterung und Halbpanik den Plan fallen lassen würde, tut er genau dies nicht. Er versichert sich vielmehr der Teilnahme eines alten Bekannten.
Stephen Katz ist dieser Mensch. Die beiden Männer kennen sich aus alten Zeiten, hatten lange keinen sehr engen Kontakt miteinander, könnten auch unterschiedlicher nicht sein, und dennoch wollen sie den Trail entlang marschieren.
Nicht ganz unerwartet ist dieses Vorhaben nicht einfach zu bewerkstelligen. Aber amerikanische Männer wären keine Männer, wenn sie Herausforderungen nicht annehmen würden.
Das Buch besteht aus zwei Teilen, die man eigentlich auch als drei Teile ansehen könnte. Der erste und hauptsächliche Teil behandelt die ersten siebeneinhalb Wochen des Marsches, nach denen man sich trennt, den eigenen Angelegenheiten nachgeht, im Falle von Katz arbeitet, im Falle von Bryson – das ist dann schon im zweiten Teil, quasi die erste Hälfte – die Zeit bis zur Fortsetzung des Marsches mit einer Art Kurz- oder Tagesausflüge zum Trail totschlägt. Während die beiden Männer im ersten Teil eine unzweifelhafte Leidenschaft für die Wanderungen auf dem Trail entwickeln, die auch später noch anhält – jedenfalls bei Bryson –, beenden sie den ersten Teil dennoch mit einer gewissen Erleichterung.
Nur bei Bryson bleibt diese nicht lange erhalten, weshalb er diese Kurztrips und Tagesausflüge macht, die ihn letztlich allerdings frustrieren, weil das eben nicht die Art von Wanderungen ist, die er mit dem Trail verbindet.
In der zweiten Hälfte des zweiten Teils des Buches stößt dann auch Katz wieder dazu und sie wollen am nördlichen Ende des Trails ein besonders wildes und durch menschenleere Gegenden führendes Teilstück namens Hundred Mile Wilderness bewältigen. Was nicht gelingt –

Neben den vielen Fakten, die Bryson leicht und interessant zu lesen präsentiert, ist sein Stil – englisch, würde ich sagen. Bryson und Katz sind beide nicht auf den Kopf und auch nicht aufs Maul gefallen, und ihre Dialoge lesen sich – wunderbar. Der Humor in Brysons Buch ist milde, leicht, lächelnd, sehr subtil, sehr schön. Nirgendwo hängt ein Holzhammer, nirgendwo ein Schild mit »Lachen« drauf, nichts dergleichen. Es gibt Situationen, die Bryson schildert, das liest man schon zu drei Vierteln drüber, bis einem klar wird, wie schräg diese Situation ist. Ich kenne Brysons Lebenslauf (noch) nicht en detail, aber man merkt ihm beim Lesen an – und ich gehe mal davon aus, dass Thomas Stegers als Übersetzer ordentliche Arbeit abgeliefert hat –, dass er eine Zeit lang in Großbritannien gelebt hat und sich – was man auch seinen anderen Veröffentlichungen bei Goldmann entnehmen kann – auch in Europa recht gut auskennt, denn sein Humor wirkt zwar britisch, ist es so pur jedoch nicht, anderenfalls manch eine Situation wohl eher in der Weise beschrieben worden wäre, die den Witz englischer Komiker einem Festlandseuropäer oft peinlich berührend vorkommen lässt. Nein, nichts dergleichen. Dieser Humor ist so fein dosiert, so elegant und unauffällig, dass man sich beständig mehr wünscht – und ihn auch bekommt.
Der ursprüngliche Plan, den Trail vollständig zu gehen, wird schnell verworfen; schon in der ersten Phase der Wanderung, den ersten siebeneinhalb Wochen, beginnen die Männer, Teile des Trails auszulassen. Während sich anfangs daraus noch die Frage generiert, ob sie damit überhaupt noch behaupten können, den Trail gegangen zu sein, konstatiert Bryson zum Schluss, dass sie zwar nicht die ganzen 3450 Kilometer gegangen seien, aber sie hätten es versucht. Und damit könnten sie von sich behaupten, den Trail gegangen zu sein. Und Bryson stellt fest, dass er viel gelernt hat, dass sich seine Betrachtungsweise der Welt verändert hat.
Manch ein Buch, das ich in der Vergangenheit las, hat nicht nur meinen Blickwinkel der Welt ein wenig verändert, sondern mich auch dazu veranlasst, mich intensiver mit Dingen zu beschäftigen, mit denen ich mich zuvor nicht beschäftigt hatte. Brysons »Picknick mit Bären« wird mich nicht dazu veranlassen, den Appalachian Trail gehen zu wollen; aus vielen Gründen ist ein solches Vorhaben nichts für mich, denke ich. Immerhin aber habe ich aus diesem Buch viel für mich gewonnen: Wissen vor allem, Wissen über etwas, von dem ich zuvor allenfalls mal nebenbei einen ähnlich klingenden Laut gehört hatte, den Appalachian Trail (den ich ganz am Anfang, als ich den Namen erstmals hörte, irgendwie an die Westküste der USA dachte, Rocky Mountains, Alaska und so). Und wie auch immer meine bessere Hälfte das vor sich und den anderen rechtfertigen wird, was sie von diesem Buch hielt – ich kann von mir sagen:
Ich habe vielleicht nicht alles nachvollziehen können. Aber ich habe dieses Buch gern gelesen.

P.S.: Bryson und Katz begegnen übrigens nicht einem einzigen Bären. Sie machen in dem Buch auch kein einziges Picknick, jedenfalls keines von einer Art, wie wir Europäer uns ein solches vorstellen. – Eine schöne Website zum Trail ist die der Appalachian Trail Conservancy, die man unter www.appalachiantrail.org besuchen kann.

3 Replies to “Keine Frauen, keine Kinder, keine Bären”

  1. Richtig. »Frühstück mit Kängurus« heißt das Bryson-Buch, das du meinst. – Leider kann ich Kommentare nur approven, disapproven oder deleten. Insofern. Aber hey. Kismet. Kann jedem passieren. – Das Buch, nebenbei, steht auf der Liste. Wie das eine oder andere Bryson-Werk auch. – My.

  2. Grazzi für diese Besprechung!

    Ein Grund, das Buch wieder aus meinem Regal hervorzuholen und es noch einmal zu lesen. Ich war bereits vor etlichen Jahren von der der Lektüre begeistert. (Weniger von „Frühstück mit Bären“ vom selben Autor).

    Literaturvorschlag für den Scheff dieses wunderbaren Blogs – *schlein* – ist ein anderer Titel, erschienen ebenfalls bei Goldmann: „Mit dem Kühlschrank durch Irland“ von Tony Hawks (ISBN 3-442-44641-4)
    [Auf meinem Exemplar steht noch keine ISBN-13]

    -=( arnie )=-

  3. // !Not to be published! //

    Känguru, KÄNGURU – nicht BÄREN in

    „(Weniger von “Frühstück mit Bären” vom selben Autor).“

    Wäre nett, falls Du das vor Freischaltung des Kommentars ggf. korrigieren könntest :-)

    LG, aus Mainz
    arndt