Der 65. Geburtstag war eigentlich schon ein wenig rum, aber die Gelegenheit zum Feiern kam erst am vorletzten Sonntag.
Der Tag begann ganz normal, wie jeder Sonntag. Naja, wie fast jeder. Sie sind ja nun nicht alle gleich. Aber das Programm war bekannt: Aufstehen, Tee trinken, Rundgang durch die Firma, zur Tanke fahren, Bierchenvorrat aufstocken, und so weiter.
Gegen 11 Uhr kam dann Schwiegermuttern. Nach einem englischartigen Frühstück – für ein echtes englisches Frühstück fehlen in diesem unserem Lande einige Zutaten, aber es wird an dem Problem gearbeitet – mit Rührei, Speck, Bohnen, Toast, Tee usw., ging es dann auf die Straße.
Nach einem Zwischenstopp am Bankautomaten fuhren wir dann zum Freilichtmuseum Glentleiten, ein Museum, in dem sich aus verschiedenen Epochen und verschiedenen Gegenden Südbayerns gerettete, abgebaute und in der Glentleiten wieder aufgebaute Bauernhäuser, landwirtschaftliche Objekte, ein sehr vielfältiges Programm bis hin auch zu kleineren Objekten, aber natürlich kein vollständiger Überblick.
Wir wollten es gemütlich angehen lassen, spazierten also so herum, sahen uns die Gebäude und deren Innereien, die auf dem Weg lagen an, und näherten uns letztlich dem eigentlichen Ziel – dem Restaurant, einer von mehreren Zonen der Atzung und Labung. Wir aßen allerdings nicht, sondern beschränkten uns auf Getränke.
Ich kannte die Glentleiten schon von einem früheren Besuch. Sie hat für mich ein großes Problem, nämlich, dass die Ausschnitte, die dort ausgestellt werden, wirklich nur Ausschnitte sind: sehr schmal, sehr eng gefasst und von wenig großem Kontext der damaligen Zeiten umgeben. Abgesehen von dem Erholungseffekt für Familien mit Kindern – aus welchem Grund auch immer – bieten die Glentleiten eher einschlägig vorgebildeten, versierten Fach- oder wenigstens Halbfachleuten etwas, und vielleicht auch gerade das nicht. Hinzu kommt, dass die Beschreibungen eher marginal sind – sein müssen, denn niemand hat Zeit, Romane auf Schildern zu lesen, während vielleicht die Kinder um einen herumtoben –, und problematisch fand ich auch, dass viele Räumlichkeiten wegen Überarbeitungen und Renovierungen geschlossen waren. Insgesamt ist die Idee der Glentleiten – es gibt noch ein Schwestermuseum in Amerang, weiter im Osten Bayerns gelegen – nett, aber nicht wirklich wertvoll. Es gibt ein paar Eindrücke, ein paar Anregungen, aber kein wirkliches Wissen.
In der Ferne war ein Kloster am Kochelsee sichtbar, auf das Schwiegermuttern ganz scharf war, vor allem, weil sie sich nicht an den Namen erinnern konnte. (Es war das Kloster Schlehdorf; wenige Wochen zuvor war ich mit meiner Holden beim nahegelegenen »Fischerwirt« bestens speisen.)
Wir fuhren weiter gen Kochel, bis zum Trimini. Am See gingen wir ein wenig spazieren. Der Kochelsee macht bei windstillem Wetter einen schwer morbiden Eindruck. Durch die Berge, gegen die man schaut, ist das Wasser auch bei Sonnenschein sehr dunkel, und wenn es wegen der Windstille platt und flach ist, sieht es aus wie Rauchglas, unter dem man sich Leichen vorstellen könnte, die knapp unter der Wasseroberfläche schweben und langsam, aber sicher von fingerlangen, dicken, weißen, hässlichen Maden zerlegt werden.
Am Ende unseres Spazierweges begann es zu regnen, erst ein wenig, dann richtig. Sich unterzustellen war vielleicht nicht attraktiv genug. Als wir zehn Minuten später nass im »Buena Vista« genannten Restaurant des Trimini – ein Hallenfreibad, wie man das wohl nennt – ankamen, hörte es auf zu regnen.
Wie es bei solchen Restaurants üblich ist, liegt der Schwerpunkt nicht auf Sterne-, sondern auf Freizeitküche. Das Ganze ist mexikanisch angehaucht und im Großen und Ganzen ordentlich. Wir hatten einen Vorspeisenteller – mit viel zu viel Tacos, auf die ich nicht stehe – und Steak und Spare Ribs. Satt geworden sind wir alle Male, für den Guide Michelin wird es nicht reichen, aber mir hat es gemundet.
Später fuhren wir dann den Kesselberg hoch – worauf hin ich mich entschied, meine sommerliche Lamborghini-Tour, die noch ansteht, auf dieser Strecke zu machen (München – A95 bis Murnau – Großweil, Kochel, Kesselberg, Wallgau, Garmisch und zurück auf die A95 nach München), wenn sich das einrichten lassen würde – und über Wallgau und Krün nach Garmisch-Partenkirchen, wo wir Schwiegermuttern ablieferten, um danach nach Hause zu fahren. Als wir da ankamen, war es wohl gut 19.30 Uhr oder noch ein wenig später.
Ich hatte überlegt, eine Kamera mitzunehmen und habe es nicht getan. Ich hatte meinen Blackberry dabei, aber der macht keine wirklich guten Fotos, wie ich schon feststellen musste, trotz irgendwelchen 5 Megapixeln oder so. Und ich war auch nicht in Stimmung. Ich fotografiere eigentlich gerne, habe aber inzwischen gelernt, dass meine Intention, zu fotografieren, eine eher dokumentarische, weniger eine künstlerische ist. Die Eindrücke, die sich in mir festsetzen sollen, muss ich ohne Kamera wahrnehmen, und so gerne ich zum Beispiel ein Bild von dieser morbiden Optik des Kochelsees, mit einem angesichts heraufziehender Gewitterwolken scheidenden Sonnenschein, hier präsentiert hätte, so glaube ich doch, dass kein Bild diesen Eindruck vermitteln würde. Viel beeindruckender ist es, dieses Bild selbst zu sehen – vor allem im Zusammenspiel mit dem kleinen Motorboot, das auf dem See unterwegs ist – es gibt, glaube ich, keine Anlegestege … – und das entweder, weil es zu langsam oder, weil der See zu zähflüssig ist, fast keine Bugwelle hat.
Die Glentleiten selbst ist nicht fotogen. Es handelt sich, wenn man es genau nimmt, um eine wüste und ohne Hintergrundinformationen ziemlich unstrukturierte Ansammlung von Gebäuden, dazwischen Wege, Wiesen, Wald, eine Parkanlage. Mehr nicht. Am schönsten – und fotogensten – sind noch die Ausblicke, die man von dort hat – die Glentleiten liegt auf einer Anhöhe – in die Weite gen Osten, in die Berge gen Süden und Südwesten, in genau die Berge, die von dort aus den Blick auf die Zugspitze versperren, auf die Staurohre, die vom Walchensee herunterkommen. Aber diesen Ausblick findet man unter den genannten Stichworten – Glentleiten, Walchensee, Kochelsee – im Internet zuhauf.
Und so hatte ich einen Tag, an dem ich nicht eine Kamera mit mir herumschleppte und einen Sucher benutzte, die Welt zu sehen.