Japan, Folgen: Sprachbespritzung

Das, was mich am schnellsten und zuverlässigsten auf die Tanne jagt, ist der Umgang mit der Sprache in solchen Dingen.
Ein GAU wird GAU geschrieben, weil es eine Abkürzung ist. Auch das ist eigentlich nicht richtig, denn einen »größten anzunehmenden Unfall« kürzt man wie hier mitten in einem Satz gaU ab, oder ansonsten GaU. Jedenfalls aber am ehesten noch GAU, wenn schon. Denn schon. Und Japan hat es wieder gezeigt, dass die Zeitungsschreiberlinge von nichts eine Ahnung haben. Da titelt doch letztens das Murnauer Tagblatt, Angehöriger der Münchner Springer- … äh, der Münchner Merkur-Gruppe, von einen »Gau«, ganz ungeniert und unzensiert, nicht, dass die Bezeichnung eines Gaus als regionalgeografischer Gegebenheit inkorrekt wäre, weil jeder existierende Gau – zum Beispiel der hiesige Ammergau ums Eck – ja nun gar nichts mit den Gau-schaffenden Nazis im Dritten Reich zu tun hat – der Ammergau war jedenfalls deutlich vor denen hier und da und überhaupt –, nein, aber, es kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Japaner gerade mit vielen Dingen Probleme haben, nicht jedoch mit einem »Gau«.
Und selbst wenn man davon ausgeht, dass die Schmierfinken das meinen, was sie zwar meinen, aber nicht aufzuschreiben in der Lage sind, dann reicht das ja nicht. Schon vor fünfundzwanzig Jahren musste es angesichts von Tschernobyl ja ein »Super-GAU« sein. Der »supergrößte anzunehmende Unfall«. (Aus irgendeinem Grund ließ mich das schon damals darüber nachdenken, was Dieter Bohlen wohl für eine Schwanzlänge hat.) Aber damit immer noch nicht genug. Heute hat sich der »Super-GAU« so im Sprachgebrauch eingenistet, dass niemand mehr nicht nur nicht drüber nachdenkt, sondern längst nicht mehr weiß, was »GAU« eigentlich bedeutet; was hiesige Touristen dazu bringt, Witze über den »Ammer-GAU« lustig zu finden, die gar keine Witze, sondern nur namentliche Erwähnungen sind.
Und der »Super-GAU« ist ja vor allem eine »Lahme-SAU«. Er ist so lahm, dass im Angesicht der Ereignisse in Japan im März 2011 die Journalisten flugs hergingen und den »Mega-GAU« ausriefen. Den »megagrößten anzunehmenden Unfall«. Und nicht nur das. Auf 3sat war letztens von einem »Atom-GAU« die Rede … Wie dämlich, wenn man sich das bildlich vorstellt: Ein Atom ist so winzig, dass man es nicht mit bloßem Auge und selbst nur mit extremer Gerätetechnik erkennen kann, und welche Bedeutung hat dann bitte ein »atomgrößter anzunehmender Unfall«, mein Gott.

3 Replies to “Japan, Folgen: Sprachbespritzung”

  1. Es gibt für den “größten” anzunehmenden Unfall sprachlich keine Steigerung.
    Die Vorsilben „super“ stehen u.a. für „über … hinaus“.

    Daraus folgt Super-GAU = über den größten anzunehmenden Unfall hinausgehend.

    Und was die geringe Verbreitung des technischen Begriffs angeht: Ich kenne nur Leute, die „im Park“ spazierengehen. Habe noch nie gehört, dass jemand „in der gesetzlich geschützten Grünanlage“ spazierengeht.

    Ansonsten ist der sprachpflegerische Aspekt hier natürlich der mit Abstand unwichtigste.

  2. Jein. Da denken sich die Leute zwar schicke Steigerungsformen aus, aber die Größenordnung „Super-GAU“ gibt es durchaus. Der „größte anzunehmende Unfall“ ist nicht der größte, den die Techniker sich vorstellen können, sondern der größte, für den sie ihre Anlage auslegen. Jeden Unfall, der darüber hinausgeht = für den die Anlage nicht mehr ausgelegt ist, nennt man dann durchaus folgerichtig einen „Super-GAU“. Der technische Begriff dafür ist „auslegungsüberschreitender Störfall“.

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Auslegungsstörfall

  3. Ich weiß. Das steht in der Wikipedia, die ja immer mehr zum alleinig gültigen Weltwissen gerät. –

    Aber ich halte das für Definitionsschwachsinn zu Lasten unserer Sprache. Es gibt für den „größten“ anzunehmenden Unfall sprachlich keine Steigerung. Und wenn mit „auslegungsüberschreitender Störfall“ eine technisch korrekte Bezeichnung existiert, dann würde ich mir wünschen, daß die, die die Bezeichnung „Super-GAU“ so modisch machten, bis auch „Atom-GAU“ und „Mega-GAU“ erlaubt waren (anläßlich der Ereignisse in Japan), für ihre Dummheit und vor allem Faulheit bestraft werden, vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß der eigentliche Grund für die Verwendung von „Super-„, „Atom-“ und „Mega-“ zum GAU ja nur der ist, daß „auslegungsüberschreitender Störfall“ der Journaille viel zu langweilig klingt. Damit macht man ja keine Quote. –

    Vielleicht nenne ich das Ganze zukünftig einfach „klauS“. Dann kann ich mir meine Mundverfusselungsaktionen sparen, wenn ich meine, es handle sich bei dem, was Journalisten und Medien verbreiten, um nichts anderes als „katastrophal lästigen, absolut unsinnigen Schwachsinn“ (mit der Erlaubnis, die Bedeutung der Worte im Rahmen des Sinnes zu varrieren …).