Sándor Márai
EIN HUND MIT CHARAKTER
(Csutora, 1931)
Piper Verlag, München, Dezember 2001, Taschenbuch, 249 Seiten, ISBN-13 978 3 492 27028 1
Übers. a. d. Ungarischen: Ernö Zeltner
VORBEMERKUNG
Das Buch war ein Geschenk einer Nachbarin, selbst Hundebesitzerin und Schwiegermutter eines Hundebesitzers.
WORUM GEHT ES?
Ein Mann, Schriftsteller und Feuilletonist, gebildet, nicht reich, kauft zu Weihnachten einen Hund aus dem Hundezwinger. Der Hund, ein »zotteliges schwarzes Stück Fell auf vier Beinen« wird sein Leben und das der Dame, seiner Frau »von Grund auf verändern«. Wie das bei einem neu angeschafften Hund eigentlich auch nicht anders zu erwarten ist.
Im Gegensatz zu modernen Büchern, in denen es um Hunde geht – siehe auch die noch folgende Rezension zu Dunja Hayalis »Is was, Dog?« –, geht es eigentlich nicht so sehr um den Hund, sondern eher um die Auswirkungen des Hundes auf die Familie – bestehend aus dem Herrn, der Dame und dem Hausmädchen –, die Nachbarschaft im Haus und außerhalb des Hauses, in der Stadt – ich nehme an, es handelt sich um Budapest – und überhaupt. Und es geht auch eher um das, was der Herr, der das Buch geschrieben haben dürfte, auch wenn er nicht in der Ich-Form erzählt, sondern aus der distanzierten Perspektive des Erzählers im Off, fühlt und denkt, wie er glaubt, mit dem Hund zurechtzukommen oder eben auch nicht.
Am Ende ist nicht ganz eindeutig, was mit dem Hund geschieht oder geschehen ist. Einerseits gibt es Anzeichen, dass Herr und Dame ihn weggegeben haben – ohne, dass sonderlich eindeutig auf eventuelle Gründe eingegangen würde –, andererseits könnte man auch glauben, er wäre verstorben.
WAS GEFIEL?
Der Stil. Man merkt dem Buch sofort an, dass es einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, und es liest sich sehr, sehr angenehm, wenn man ansonsten ständig Werke, die in mehr oder weniger ausgeprägtem Schlampdeutsch verfasst sind, zu lesen hat. Es ist ein wenig so, als würde man sich einen Schwarz-Weiß-Film aus den 40ern anschauen, mit Cary Grant.
WAS GEFIEL NICHT?
Das Ende, ganz subjektiv. Ich hätte mir eine eindeutigere Kenntnis vom Schicksal des Hundes gewünscht, aber das ist, wie gesagt, sehr subjektiv und ganz mein Problem.
ZITAT GEFÄLLIG?
Aber natürlich. Sich Zitate hier zu verkneifen, wäre glatt eine Schande.
[…] Und nun kommt Tschutora und stellt diese heikle und militärisch straffe Disziplin auf den Kopf.
Nicht daß er irgendeine bevorzugte Behandlung oder besondere Zuwendung beanspruchen würde; nein, allein durch sein Dasein gerät alles durcheinander. Still oder leise quengelnd lebt er unter ihnen, und es könnte sein, daß er die Mitglieder des Haushalts, die ihn ihrerseits als eine durchaus materielle Existenz erleben, vielleicht als mythische Erscheinungen empfindet. Er inkommodiert sie, vor allem den Herrn, der meint, er müsse bei dem Störenfried einen Widerstand überwinden, bevor zwischen ihnen eine Freundschaft möglich sei. Dieser Widerstand hat nichts mit dem Charakter oder der Rasse des Hündchens zu tun; für ihn bedeutet eher die Tatsache, daß er einem Hund sein Vertrauen schenken muß, eine gewisse Demütigung. Er findet, die an Tiere vergeudete Zärtlichkeit sei auf gewisse Weise unredlich. Er ringt mit sich, findet es irgendwie unter seiner Würde, sich dem Tier zu ergeben. Für sein Empfinden liegt etwas Unbefriedigendes in einer Liebe, die der Mensch gegenüber Kreaturen an den Tag legt, welche keine Menschen sind. Bekanntermaßen verlieren vorwiegend ältere Fräulein und eingefleischte Junggesellen unter den pensionierten Beamten ihr Herz an Kanarienvögel und Hunde. Zwar akzeptiert er die Mutmaßung, daß, wer Tiere liebt, kein böser Mensch sein kann, doch hegt er zugleich den Verdacht, daß manche es einfach bequemer und billiger finden, ein Tier statt eines Menschen zu lieben. Ihm erscheint es als Ausflucht, etwa so, als versuche jemand, sein gewaltiges Liebesdefizit Menschen gegenüber mit Trinkgeld oder aus der Portokasse zu begleichen.
(Seite 71 f.)
[…] Die Welt ist voll von rachitischen Kindern, krebskranken Greisen, unbegabten Autoren, mißverstandenen Genies, unansehnlichen Frauen und Ringern mit Leistenbruch: Ihm ist bewußt, daß seine vornehmste Aufgabe darin bestände, diesen zu helfen, möglichst allen und nachhaltig – und dann, wenn all das erledigt ist und er immer noch einen kleinen Überschuß an Gefühlen, Hingabe und Eifer hat, dann darf er diesen zum Beispiel auch an einen Hund verschwenden … Doch eine solche Lösung, die zugleich mit einer umfassenden Erlösung der Welt verbunden ist, wird, wie er befürchtet, nicht leicht zu erreichen sein. Der Herr bleibt an der Tür stehen, kratzt sich den Kopf und blickt auf den Hund hinab, der ihn kaum beachtet; er hat nämlich damit zu tun, aus dem Spalt neben dem Ofen ein Bröckchen Kohle herauszukratzen und es zu zerbeißen; denn neben anderen wichtigen Aufgaben muß er an diesem Vormittag auch noch herausfinden, was Kohle ist und wofür sie zu gebrauchen wäre …
(Seite 73 f.)
Was für eine wilde, unbändige Freude, wenn einer der Hausleute heimkommt! Es hat noch nicht geläutet, und auch Schritte sind auf den Stufen nicht zu hören, doch der Winzling Tschutora, der absolut nichts von Zeit, Raum und Entfernungen versteht, ist bereits aus seinem Dösen aufgeschreckt und sitzt in Habachtstellung. Gewiß hat er noch nicht den leisesten Laut vernommen, der Heimkommende ist womöglich erst unten an der Haustür, und es werden noch Minuten vergehen, bevor sich der Schlüssel im Schloß der Wohnungstür dreht. Tschutora aber weiß längst Bescheid und blickt dem Herannahenden mit ungeduldiger Erwartung entgegen. Welche Sinnesorgane sind es, die ihm diese Information übermitteln? Die Augen, die Ohren, die Nase? Unzulängliche Begriffe allesamt. Ein viel feineres Instrumentarium, mit dem Tschutora die Welt wahrnimmt, überprüft und registriert, ist bereits in Funktion, wenn der Ankommende gerade erst in die Gasse einbiegt. Drahtlos, über Frequenzen, die mysteriöser und rätselhafter sind als alles, was der Mensch mit seinen subtilsten Apparaturen zu empfangen vermag, erreicht ihn die Information; Membranen von größerer Schallempfindlichkeit als jedes Mikrophon übermitteln ihm Geräusche, für deren Wahrnehmung der Mensch kein geeignetes Instrument besitzt; hier tritt jenes nicht zu benennende Fluidum, ein Begleitphänomen des organischen Lebens, in Aktion, dessen Schwingungen uns so wenig bekannt sind wie die Beschaffenheit des elektrischen Stromes und das, was wir bequem und vereinfachend »Instinkt« nennen. So ist Tschutora also längst über die Absicht des Heimkehrenden informiert, wenn dieser noch an der nächsten Straßenecke mit einem Nachbarn plaudert. Als Kreatur ist er minderwertiger, kann nicht reden, und seine Bildung läßt zu wünschen übrig, Tschutora ist auch nicht in der Lage, die höheren Weihen der Hundeausbildung zu erlangen, er mag nicht auf zwei Beinen gehen, und es gibt nur wenig Hoffnung, daß er dereinst im Zirkus Karriere macht, wo gelehrte und gelehrige Hunde vor dem faszinierten und applaudierenden Publikum zweibeinig auf dem Seil tanzen und dabei in der Pfote einen roten Sonnenschirm schwenken. Nein, Tschutora ist gedrungen, fast plump, sogar ein bißchen gewöhnlich, ein Bauer, wie Theres zu sagen pflegt. Doch dafür besitzt er andererseits nebensächliche Fähigkeiten, dank derer er zum Beispiel vom Herannahen einer vertrauten Person schon Minuten vor deren Ankunft Kenntnis hat. Er setzt sich in Positur, rennt zur Eingangstür, nimmt hier in der Stadtwohnung, zwischen Mauern und Mobiliar, Witterung auf wie ein Jagdhund in freier Wildbahn, der – wie es in der Jägersprache heißt – »das Wild ausmacht«. Sie muß in der Nähe sein! vermeldet er mit der Sprache seines ganzen Wesens, die nervösen Ohren, der hochstehende buschige Schwanz senden Signale aus. Und Tschutora irrt sich nicht, niemals. Sie muß bereits durchs Tor gehen, kommt schon die Stiege hoch, teilt er in immer begeisterter geäußerten Morsezeichen mit. Dann kläfft er einmal in seiner Aufregung. Stürzt ins andere Zimmer, stellt sich vor den Herrn, bellt ihn an, hüpft ihm aufs Knie, rast zurück zur Tür, versucht mit den Vorderpfoten die Türklinke zu erreichen, wirft sich mit der Brust gegen die Tür, jagt noch einmal in Kreisen durch die Wohnung, sein Geheul, Gerenne und andere Zeichen der Freude, die alle Erklärungen überflüssig machen, annoncieren überschwenglich: »Sie kommt! … Verstehst du denn nicht? … Sie ist da! Was für ein Glück! Juchhe! Gleich tritt sie ein!« Dann stemmt er die Vorderpfoten gegen die Tür, verharrt in der Stellung, um sie gleich ganz in Besitz zu nehmen. Und erst jetzt dreht sich der Schlüssel im Schloß der Vorzimmertür.
(Seite 100 ff.)
Die Fenster oben in der Wohnung sind dunkel; sicher haben diese passiven Zeitgenossen des Epigonenzeitalters bereits alle Treffs und Karos ausgespielt und sind heimgegangen. Als der Herr vor Eile atemlos den ersten Stock erklommen hat, hüpft ihm im schlecht beleuchteten Stiegenhaus etwas gegen die Brust: Tschutora, der zitternd und wie von Sinnen bellend vor der Tür gewartet hat.
(Seite 146)
Und dennoch: Was der Tag auch bringen mag, dem Herrn erscheint nichts mehr wichtig oder unwichtig genug, um es nicht mit ebendieser besessenen Unbefangenheit wahrzunehmen. Zwar geniert er sich deswegen und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse – doch er kann nicht anders: Auch wenn er solche Rücksichtnahme für verächtlich, wenig fruchtbringend und fehl am Platze hält und ihm absolut klar ist, daß er damit die Propheten und die gesamte höherrangige und leidende Menschheit verrät, so geht er doch auf Zehenspitzen aus dem abgedunkelten Zimmer, damit er diesen von den Ereignissen des Tages trunkenen Hundeschlaf nicht stört.
(Seite 152 f.)
Auch Tschutora scheint Mr. Blochs Lächeln zu mögen, das sein Gesicht erleuchtet, welches aus Fleisch, Blut und Nerven geformt ist, seine hellblauen Augen, die ihm zum Schauen dienen, strahlen läßt. Die wohlige Wärme des Familienlebens genießt Mr. Bloch natürlich nur in Gesellschaft des idealen Ehepaars Wood; vielleicht weil er weise ist oder weil er möglicherweise doch etwas weiß über die Woods, das er nicht preisgibt. Auf jeden Fall begleitet ihn Tschutora zur Tür, und verabschiedet ihn mit vergnügtem Schwanzwedeln, wobei ihm Mr. Bloch mit kamelartig nickendem Wohlwollen erklärt, daß er der dog ist, der seinerseits aus Fell, Fleisch und vielen Blutgefäßen besteht, und daß er die Aufgabe hat, das Haus zu bewachen und – wie aus der fourth lesson bekannt – dem Menschen ein treuer Freund zu sein. Zweimal pro Woche trifft Mr. Bloch diese Feststellung beim Abschied an der Tür und stets in seinem singenden, wohlartikulierten Englisch, blickt dann erwartungsvoll auf seinen Schüler und wartet auf Antwort. Doch Tschutora äußert nie einen Ton. Der Herr schilt ihn vergeblich, was soll denn aus einem armseligen ungarischen Hirtenhund werden, wenn er nicht Englisch lernt, umsonst eröffnet er ihm, daß er in Amerika eines Tages noch Friedensrichter werden könnte … Nein, Tschutora, dieser Bauernklotz, wird niemals Englisch lernen. Auch Mr. Bloch teilt diese Meinung: Da ist keine, nicht die geringste Chance, daß Tschutora es in der großen Welt einmal zu etwas bringen wird.
(Seite 180 f.)
ZU EMPFEHLEN?
Für Márai-Fans sowieso. Für Hundeliebhaber durchaus auch, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Umgang mit dem Thema Hund in diesem mehr als achtzig Jahre alten Werk sehr angenehm von der Handhabung in modernen Hundewerken – die keine Handbücher sind – unterscheidet.
NOCH WAS?
Es gibt noch eine neuere Ausgabe von Piper, auf deren Titelbild ein Hund abgebildet ist, der ganz offensichtlich nicht der Rasse des beschriebenen Hundes entspricht. Der soll der Rasse der Puli angehören, während auf dem neuen Cover (von 2011) ganz offensichtlich ein Westhighland Terrier abgebildet ist, wenn auch von hinten. Und der Hund in der Geschichte selbst soll schwarz sein – nicht weiß, wie auf dem Titelbild.