Nordsünden

Axel S. Meyer
DAS BUCH DER SÜNDEN
Historischer Roman, Rowohlt Taschenbuch Verlag, August 2010, Taschenbuch, 780 Seiten, ISBN 978 3 499 25380 5

Das Buch ist der »historische Roman des Jahres« im Wettbewerb des Rowohlt-Verlages; es steht nicht dabei, in welchem Jahr das Buch gewann. »Hoch im Norden haust das Böse«, sagt der Klappentext, und: »Im Jahre 845 bringen die Normannen den Tod nach Paris. Die Mörder kommen über die Flüsse: Am Morgen besetzen 120 Drachenboote die Seineinsel, am Abend sind die Straßen mit Leichen übersät. Brandgeruch liegt in der Luft.«

»Hilflos muss der junge Odo mit ansehen, wie sein Vater getötet und seine Mutter verschleppt wird. Er schwört Rache. Jahre später fällt ihm im Kloster Sankt Gallen eine Schrift in die Hände: Das Buch der Sünden. Es prophezeit den Untergang der heidnischen Welt – sobald die sieben Todsünden gesühnt sind. Besessen von der Idee, dieses Werk zu verrichten, macht sich Odo auf den Weg nach Norden. In die gottlose Stadt der Wikinger, nach Haithabu …«
Was der Klappentext nicht erwähnt, ist, dass Odo selbst Mönch wird und in Haithabu gar vorgibt, ein Priester zu sein. Während er die Menschen – oder besser vielleicht: Lebewesen – ausmacht, die die ersten sechs Sünden repräsentieren und sie tötet, gelingt es ihm, die christliche Gemeinde in Haithabu nicht nur zu vergrößern, sondern auch eine aus Stein gebaute Kirche zu errichten. Was das Verhältnis zu den Dänen dort nicht gerade verbessert …
Schon in den ersten Teilen des Buches bildet sich neben Odo eine zweite Hauptfigur des Romans heraus: Helgi, Däne, wenn auch von ungewöhnlich wirkender Statur und Optik, Sohn eines Schmiedes, und später Reisender gen Osten, wohin ihn seine Liebe führt, eine ehemalige Sklavin, die zum Volk der Ranen gehört und auf Rujana (Rügen) lebte. Mit ihr reist Helgi nach Rujana – und der Leser vermeint schon, dass die Handlung einfach eine große Abzweigung in eine gänzlich unerwartete Richtung genommen hat …
Da schwenkt sie, die Handlung, wieder zurück nach Haithabu – und führt Odo gleichermaßen nach Rujana, denn Helgi ist sein siebenter Dämon, den er noch töten muss, damit die Welt der Heiden für alle Zeiten untergeht. Aber wie es sich gehört: es kommt alles anders …

Manchmal war ich mir nicht sicher, ob die Zeichnung der Figuren, die Meyer hier präsentierte, nicht über alle Maßen simpel ausgefallen war. Über große Strecken wirkt Odo, der Mönch, der falsche Priester, der Dämonentöter, wie ein grob aus einem Stück Holz herausgearbeiteter Fanatiker, uneinsichtig bis zur vollständigen Selbstverblödung – so ist es so offensichtlich, welchen Zusammenhang es zwischen ihm und Helgi gibt, dass es beinahe weh tut, lesen zu müssen, wie Odo das einfach ignoriert –, aber andererseits: Ich kenne keine echten Fanatiker, vielleicht sind Fanatiker einfach so, vielleicht waren sie es vor mehr als 1100 Jahren in diesem Ausmaße, keine Ahnung. Ebenso wirkt Helgi an einigen Stellen auf eine so frappierende Weise blonddämlich, dass man Meyer die Beschreibung seiner Figur als für Dänen ungewöhnlich groß und vor allem ungewöhnlich dunkel (auch dunkelhaarig) fast nicht abnehmen möchte, denn viel eher würde ich in dieser Rolle Dolph Lundgren in seiner ersten Komödie sehen, in der er sich so richtig im Schneiden von Dummgrimassen übt.
Im Grunde ist das ein frappierender Aspekt an diesem Buch. Die einzelnen Figuren – nicht nur die Hauptfiguren, sondern eigentlich alle allesamt – sind in keinster Weise komplex und widersprüchlich gestaltet, sondern vielmehr Platzhalter von … ja, vielleicht Schachfiguren. Odo ist der Fanatiker. Ansgar, auch ein Christ, ist einfach ein nörgelnder Typ, der alles Nichtchristliche ablehnt. Helgi ist der liebe, gute, treue, loyale Held, der große, starke Mann, an dessen Brust die Frauen enden. Der Wojwode auf Rujana, dem Helgi dann nachfolgt, ist einfach nur ein Arschloch. Der König, der glaubt, dass Helgi, längst Wojwode auf Rujana, Schuld daran trägt, dass die Dänen die Insel angreifen, ist einfach nur der Depp, der sich von einem seiner Untergebenen einfach nur etwas einreden lässt und wahrscheinlich auch geglaubt hätte, dass Schweine fliegen können. Es gibt keine Intrigen, sondern nur geradlinige Gewalttätigkeit.
Das liest sich nun möglicherweise, als sei der Roman langweilig und vorhersehbar. Aber das täuscht. Frappierend ist auch, dass es Meyer trotz dieser vermeintlichen Vereinfachungen tatsächlich gelingt, den Leser immer wieder ein wenig an der Nase herumzuführen, und auch wenn am Ende dann doch alles so gelaufen ist, wie man es sich als Leser vorgestellt hat – am Ende weiß man es ja einfach doch besser! –, bleibt man während des Romans über weite Strecken einfach im Unklaren.
Und es muss eindeutig festgehalten werden, dass Meyer ein guter Schreiber ist, dem es vielleicht durch die Vereinfachungen gelingt, Spannung zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Das Buch liest sich – abgesehen von einigen scheinbaren »Haken« ziemlich am Anfang – insgesamt flüssig, gut formuliert, in einer schönen, die Zeit vermittelnden, aber nicht übertrieben altertümlich wirkenden Sprache geschrieben, und, ja … es ist spannend. Zum Schluss sogar so sehr, dass ich meine sonst übliche Zubettgehzeit überzogen habe, um nicht noch einmal »absetzen« zu müssen.
Was die historischen Grundlagen angeht, so hat sich Meyer seine schriftstellerischen, weil künstlerischen Freiheiten gegönnt. Er geht darauf in einem Nachwort ein; durchaus interessant zu lesen, was in das scheinbar homogene Gussstück eben eigentlich nicht hineingehört hätte.

Fazit: Gutes Ding. Gut zu lesen. Für eine Zwischendurchlektüre mit 780 Seiten definitiv zu umfangreich, aber wenn man sich Tag für Tag ein, zwei Stündchen Zeit nimmt, wie ich das für dieses Buch getan habe, dann ist das ein angenehmes Leseerlebnis. Und zum Schluss hin eben auch mal nicht auf die Uhr schauen, das wäre sicher hilfreich.

Noch ein Zitat: »Er sang mit schwerer Stimme: ›Den Tag lob abends. Die Frau im Tode. Das Schwert nach dem Hieb. Die Braut nach der Hochzeit, und eh es bricht, das Eis. Das Bier lob, wenn’s getrunken ist.‹« Na, fein.

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