Ines Thorn
DAS MÄDCHEN MIT DEN TEUFELSAUGEN
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2010, Hardcover mit Schutzumschlag, 381 Seiten, ISBN 978 3 8052 0888 8
Aus unerfindlichen Gründen lässt mir der Rowohlt Verlag fast regelmäßig historische Romane zukommen – ganz offensichtlich zu Rezensionszwecken. Ich will mich da nicht lumpen lassen – und bei dem vorliegenden Roman war das ganz besonders einfach.
Rosamund wird in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankfurt geboren – mit Augen in zwei verschiedenen Farben. In ihrer Jugend lebt es sich mit diesem Makel nicht leicht in Frankfurt, denn zwei verschiedene Augen gelten als Teufelsmal. Der Vater ist zu milde, die Mutter lieblos und die jüngere Schwester bevorzugend, und auch der Angebetete steht nicht zu ihr. So wird sie schließlich fortgeschickt, in ein Kloster, in dem sie, so hofft sie, als Nonne aufgenommen werden wird. Doch bevor es so weit kommt, brennt das Kloster nieder.
Rosamund versucht, in den Klosterruinen zu überleben – und währenddessen gilt sie mit einem Mal als Heilige. Nach Frankfurt zurückkehrend begleitet sie dieser Ruf – aber er macht nicht alles einfacher, im Gegenteil. Und nichts bleibt ewig so, wie es ist.
Als Matteo später aus der Werkstatt hinauf ins Haus kam, fragte Rosamund ihn: «‹De septem secundeis›, kennst du es?»
Matten schüttelte den Kopf. «Was ist das? Von den sie¬ben Geistern? Was bedeutet das?»
«Es ist der Name eines Buches. Eines Teufelsbuches. Wer es gelesen hat, ist in der Lage, die ganze Welt zu beherrschen, heißt es.»
«Oh, wo kann ich es kaufen?»
«Matteo, das ist kein Scherz!» Rosamund sah ihren Mann so ernst an, dass ihm das Lächeln im Gesicht erfror. «Die Leute erzählen sich, dass wir dieses Buch hätten. Du hättest es. Michael hat das Gerücht gestreut. Und ich weiß noch aus dem Kloster, dass überall darüber spekuliert wurde.»
Matten wurde blass, ließ sich auf einen gepolsterten Stuhl fallen und starrte Löcher in die Luft. Dann sah er Rosamund an. «Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute die Wahrheit erfahren. Wir haben kein solches Buch. Michael wird sich verantworten müssen.» Rosamund lachte bitter auf. «Du wirst durch Worte nicht ändern können, was die Leute glauben wollen. Und sie wollen glauben, dass du das Buch hast. Michael neidet dir deine Aufträge, deinen Erfolg als Maler. Er glaubt, ein Weißbinder wäre geringer als ein Maler. Also muss er dich schlechtmachen. Und die Leute sind von Michael abhängig; er ist der Zunftmeister, gibt ihnen Aufträge. Es geht nicht um dich oder das Buch. Es geht um Macht; und deshalb sind wir machtlos.»
(Seite 201)
Die Thorn ist Routinier, und das merkt man ihr mehr als deutlich an. Die Sprache ist flüssig und der Thematik, der beschriebenen Zeit angemessen, ohne archaisch oder antiquiert zu wirken. Die geschilderten Geschehnisse sind, so profan sie auch scheinen mögen, spannend und fesselnd geschildert, so sehr, dass man sich am Ende nicht an einen einzigen langweiligen oder überflüssig erscheinenden Halbsatz erinnern kann. Das Buch flutscht wie ein Zäpfchen – ich habe lange nichts so Packendes gelesen.
Neben der eigentlichen Handlung geht es in der Geschichte um Rosamund, ihre Familie und ihr Schicksal auch um etwas, was zu allen Zeiten – auch heute noch – eine durchaus wichtige Rolle spielt: Wer bin ich? Was bin ich? Woher komme ich und wohin gehe ich? Essenzielle Fragen, deren Beantwortung viele Menschen einfach ihrer Umgebung überlassen, statt sich mit Mut und Selbstbewusstsein den eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften zu stellen und sie gegen die Welt zu verteidigen. So dauerte es lange, bis Rosamund nicht nur Teufel, Heilige und wieder Teufel ist, sondern auch: erkennt.
Das Ende des Buches ist auf eine aufregend unkitschige Art und Weise ergreifend:
«Ich würde sie suchen», hatte Dietrich hinzugefügt, ein wenig stammelnd, weil er wusste, dass sich solche Worte aus seinem Mund nicht ziemten.
«Dann tue, was du nicht lassen kannst», hatte Matteo gebrummt und war erleichtert, als Dietrich tatsächlich den Malerkittel auszog und davonging.
Stundenlang hatte er auf dem Schemel gehockt, den Pinsel mit der linken Hand über das Blatt geführt und dabei auf das Knarren des Hoftores gelauscht, das Dietrich und – Herr im Himmel, ich bitte Euch sehr – auch Rosamund zurückbringen sollte.
Doch nur Ulla war gekommen, hatte berichtet, dass das Abendessen bereitstand. Und Matteo hatte genickt und den Pinsel nicht losgelassen, bis Dietrich endlich zurückkam, die Schultern hob, die Arme ausbreitete und sagte: «Niemand weiß etwas.»
Und Matteo war aufgesprungen, hatte gegen den Tisch getreten, dass die Farben und Pinsel, das Leinöl und der Mörser zu Boden stürzten.
«Bist du zu blöd, eine Frau zu finden?», hatte er mit hochrotem Kopf gebrüllt. «Sie kann sich doch nicht Luft aufgelöst haben?»
Dietrich zuckte nicht zurück und sagte nur: «Doch. So ist es», und sah Matteo beim Wüten zu. Als dieser fertig war und mit noch tiefer hängenden Schultern, das Haar im Gesicht, auf dem Schemel hockte, sprach er weiter: «Ihr, Meister, habt sie weggeschickt. Vielleicht ist es Gottes Wille, dass Ihr nach ihr suchen sollt.»
Matteo sah auf, die beiden Falten, die sich von der Nase bis zu den Mundwinkeln zogen, waren noch tiefer geworden. «Gottes Wille, ja?»
Dietrich nickte.
(Seite 370 f.)
Freunde historischer Literatur werden die Autorin und vermutlich auch dieses Buch sowieso kennen. Alle anderen, vor allem solche, die vielleicht mal ins Genre hineinschnuppern wollen, sollten sich dieses Werk als »wärmste Empfehlung« notieren.