Schweres, nasses Brot

Matthias Falke
BERICHT AUS DEM LANDE KHAM
Erzählungen
Books on Demand, Norderstedt, 2009, 2. Auflage, Paperback, 356 Seiten, ISBN 978 3 8334 9576 2

Der Titel dieses Beitrags deutet es schon an – das ist alles, nur keine leichte Kost, nichts für zwischendurch, das ist eine Lektüre, auf die man sich konzentrieren muss, und bei der man auch damit rechnen sollte, dass sie einem vielleicht nicht durchgängig mundet.

»Die steinerne Bibliothek« enthält nicht nur alles Wissen der Welt, sondern mehr noch – das Wissen um ihr eigenes Schicksal und die Katastrophe, die ihrer Entdeckung folgen wird. Ein nicht ganz einfach, insgesamt etwas lovecraftesk zu lesendes Werk um eine sensationelle Entdeckung mitten in Asien.
»Athena«, die griechische Göttin, steigt auf die Erde der Jetztzeit hinab und beglückt den Protagonisten der Geschichte. Eine etwas abgedrehte, dadurch aber durchaus sympathische Geschichte mit vielen Träumen und Albträumen, mit viel Handlung, auch Action, stark dialogbetont und dadurch eher etwas für mich. Ein ganz klares Fazit dieser Story kann ich nicht ziehen, weil ich mir letztlich nicht sicher war und bin, den Sinn des Ganzen verstanden zu haben. Aber die Lektüre an sich war okay.
Was man von »Proteus« nicht mehr ganz so uneingeschränkt behaupten kann. Die Story von einer auf einer Insel zur Erforschung gehaltenen seltsamen Kreatur hat durchaus intelligente und angenehme Aspekte, man kann sie ganz sicher auch einwandfrei einem SF-Untergenre zuordnen, in das ich auch »Jurassic Park« einordnen würde. Aber die Spannungselemente, die Kicks, die die Story hätten ausmachen können, werden leider zu oft von langatmigen Beschreibungen mit zu häufigen Ablenkungen zugeschüttet, sodass die Idee der Geschichte durchaus wirken kann, die Geschichte selbst aber eher langatmig und anstrengend in Erinnerung bleibt.
Was in noch extremerem Maße für »Die rote Wüste« gilt. Ein Mann geht in die Wüste. Im Nachhinein ist nicht mehr klar, ob es sich um die libysche Sahara oder die Wüste der protagonistischen Psyche handelt, oder beides, und wenn beides, dann in welchem Mischungsverhältnis … Ein wüster, brutaler und rücksichtsloser Bilderrausch, der in einer Verfilmung Splatterelemente enthalten müsste, um die zerrüttende und bisweilen schmerzhafte Wirkung der Geschichte auf den Leser herüberzubringen. Es ist höchst selten, dass ich Teile eines Textes nicht lese, sondern überspringe – hier habe ich es seitenweise getan.
Der »Bericht aus dem Lande Kham« beginnt vermeintlich als stilistische Fortsetzung, entpuppt sich jedoch beim weiteren Lesen – das sich diesmal wieder lohnt – als Geschichte aus einem persönlichen Genre, dem Matthias Falke sehr verbunden scheint. Es geht im weitesten Sinne um Heisenbergs Unschärferelation, um die Quantentheorie und um die Frage, was der Mensch mit der Antwort auf die Frage nach Sein oder Nichtsein, Ja oder Nein, Null oder Eins anzustellen in der Lage ist. Indirekt erinnerte mich die Geschichte ein wenig an »Harey«, die ich für den Band »Harey Reloaded« letztens erst korrigieren und nachlektorieren durfte.
»Die Lun’Ar« ist eine insofern hochinteressante Geschichte, als man nicht wirklich herausbekommen kann, ob es sich um eine reinrassige Fantasy-Geschichte eines … sagen wir Naturvolkes auf einem fremdartigen Planeten mit sehr langen Sommern und sehr langen Wintern handelt, oder nur um die stark verklausulierte Beschreibung etwas Realirdischen, einer Kleintier- oder Insektenrasse auf einer steppenartigen Wiese, deren Leben nach menschlichen Maßstäben so kurz ist, dass ihnen die Tage wie ein ganzer Sommer und die Nächte wie ein ganzer Winter vorkommen. Die Geschichte selbst ist ordentliche Fantasy oder jedenfalls Fantastik, ganz ohne Zweifel, gut geschrieben, und die Idee eben, welche auch immer mein Rätsel lösen würde, ist auch nach der Lektüre noch fesselnd. Denn ich bin mir nicht klar geworden, welche Art Wesen das nun ist: Naturvolk oder etwas anderes.
»Weltende« ist der vermeintlich bekannte Plot des letzten Menschen auf Erden, der nur der letzte Mann ist, weil es noch eine letzte Frau gibt – die dann auch schwanger wird. Aber Falke ist ein fieser Hund, und so gibt es kein Happy End. Die Geschichte leidet ein wenig unter zu ausufernden Beschreibungen, aber nur gerade eben so sehr, dass man noch darüber hinwegsehen kann.

Insgesamt war der »Bericht aus dem Lande Kham« ein ordentlicher Brocken, an dem ich ordentlich zu kauen hatte. Die 356 Seiten im A5-Format, diesmal einigermaßen ordentlich layoutet, wenn auch nicht wirklich fachgerecht, enthalten zudem Text für ein 500-Seiten-Taschenbuch – oder jedenfalls in der Größenordnung –, da muss man erstmal durch. Und wenn es einem die Texte dann noch nicht wirklich leicht machen.
Falke ist in meinen Augen nach wie vor ein guter Autor, der Potenzial hat, der aber auch noch an seinen Werken arbeiten muss, denn nicht selten schießt er mit seiner Bilderwut schwer über das Ziel hinaus und beschädigt damit gute Ideen auf eine Weise, die man ihm nach dem Überstehen der Lektüre nicht wirklich verzeihen möchte. Als Anlesetips würde ich »Athena« und »Weltende« empfehlen, »Die Lun’Ar« ist die für mich beeindruckendste Geschichte, weil sie den tiefsten und langanhaltendsten Eindruck hinterlässt. »Die rote Wüste« ist nur jemandem zu empfehlen, der auf psychedelische Bildwelten aus dem LSD-Rausch-Universum steht.

Insgesamt nicht wirklich schlecht, aber sehr zwiespältig.

(Eine Nachbemerkung noch: Bei diesem Buch zeigen sich auch die Zwiespältigkeiten in der Buchqualität aus der BoD-Produktion. Der Umschlag neigt dazu, sich zu rollen, wenn das Buch feuchter Luft ausgesetzt ist; eine versehentliche Nacht auf dem Balkon hat den Umschlag sich zu einer fast perfekten Rolle aufdrehen lassen, und erst ein mehrtägiger Aufenthalt im Arbeitszimmer hat diesen Effekt wieder verschwinden lassen. Entweder ist das Papier nicht gut – oder die Kaschierung.)

Kommentare sind geschlossen.