Kim soll ihre ersten anderthalb Jahre auf der Straße zugebracht haben. Sie muss mindestens einmal Junge bekommen haben, denn ihr Gesäuge war ausgeprägt (ausgeprägter zum Beispiel, als bei Naomi oder Susi). Der Tierarzt, der sie kastrierte, war vermutlich ein Metzger; kein vernünftiger Veterinär verpasst einer Hündin einen gut zwanzig Zentimeter langen Schnitt.
Und es war auf sie geschossen worden; in ihrem Körper steckten drei Diabolos (das ist Luftgewehrmunition), und einen davon hat sie mit in den Hundehimmel genommen, denn er saß zu nah an der Lunge, um herausoperiert zu werden; allerdings war die Kugel verkapselt, insofern ungefährlich.
Kim hatte ihre Baustellen. Sie mochte es nicht, am Hinterteil angefasst zu werden, jedenfalls anfangs. Von der Diabolo-Operation noch betäubt, nässte sie sich ein. Ich wollte ihr das Hinterteil mit einem Handtuch abtrocken, da schnappte sie im Halbdusel nach mir, erwischte den goldenen Ring meines Vaters und meinen Finger, der natürlich blutete. Ein wenig. Die Spur ihres Zahnes, der den Ring erwischte, ist noch da; ich werde sie auch nicht beseitigen lassen – das ist eine Erinnerung, nicht nur an Kim, sondern auch an meinen eigenen Fehler.
Es war nicht der einzige Fehler, den ich mit ihr machte. Wenn auch der blutigste. Als ich sie einmal auf dem Sofa sitzend in den Arm nehmen wollte, schnappte sie nach meinem Gesicht, erwischte mich aber nicht. Dass sie so reagiert, hätte ich mir denken können. Erst viele, viele Jahre später, 2022, um genau zu sein, ließ sie sich in den Arm nehmen, vor allem beim Tierarzt.
Der Fehler, der mir am intensivsten in Erinnerung bleiben wird, geschah beim Gassi gehen. Keine große Runde, in der Nachbarschaft, mehr nicht. Sie sollte nur noch einmal pieseln. Es regnete, ich hatte einen Schirm in der Hand (danach nie wieder beim Gassigang), in der anderen die Flexileine. Kim pieselte, die Flexileine – bzw. das schwere Gehäuse – rutschte mir aus der Hand, schoss auf den Hund zu, der panisch davon rannte, das verdammte Flexileinengehäuse immer hinter ihr her. Zum Glück blieb sie auf dem Gelände, auf dem wir wohnten, saß dann vor der Tür zum Haus, zitternd, ängstlich – und es gelang mir fast nicht, sie von der Tür wegzuziehen, um diese zu öffnen. Wie es danach weiterging, weiß ich nicht mehr – aber danach verschwand die Flexileine in der Versenkung und kam nie mehr zum Einsatz.