Zum Indiebookday 2016
Ich bin Kleinverleger. Mein Verlag heißt p.machinery. Ich habe um die 100 aktive Titel auf dem Markt und produziere fleißig weiter. Ich mache irgendeinen fünfstelligen Betrag Jahresumsatz (in Euro). Und manchmal fühle ich mich ein klein wenig verarscht.
Am 26.03.2016 findet zum vierten Mal der Indiebookday statt. Worum es dabei geht, liest man unter www.indiebookday.de. Es sollen Bücher aus »unabhängigen/kleinen/Indie-Verlag«en promoted werden. Und damit geht das Problem schon los –
Die Klassifizierung »unabhängiger/kleiner/Indie-Verlage« ist blödsinnig. Der Begriff »Indie« kommt von »independent«, mithin also von »unabhängig«. Hier liegt schon mal eine deutlich erkennbare Doppelvermoppelung vor. Und was heißt »klein«? Abgesehen von dem unklaren Maß dieses »klein« unterstellt diese Eingrenzung auch, dass Bücher von »großen« unabhängigen Verlagen – o ja, die gibt es auch noch! – nicht berücksichtigt werden dürfen?
Damit der Buchkäufer und -leser nicht blöde sterben muss, wurde schon 2014 im Blog eines Menschen namens Wibke Ladwig – ich bin gerade zu faul, zu prüfen, ob das Männlein oder Weiblein ist – erklärt, was so ein »Indie-Verlag«, genauer: was ein »unabhängiger Verlag« eigentlich ist. Nämlich:
- Er muss konzernunabhängig sein.
- Er muss ein allgemeines Programm aus den Bereichen Literatur und Sachbuch haben und darf
- kein Druckkostenzuschussverlag sein.
- Er muss ein regelmäßig erscheinendes Programm haben.
- Er muss eine nennenswerte Produktion haben (mindestens 4 Titel pro Jahr).
- Er muss mindestens zwei Jahre am Markt sein.
- Er muss seine Bücher mit einer ISBN versehen.
- Er muss eine professionelle Auslieferung haben.
- Er muss Mitglied im Börsenverein des deutschen Buchhandels sein.
- Er muss über eine Verkehrsnummer verfügen.
- Er muss bei den Barsortimenten vertreten sein.
- Er muss über eine Website verfügen.
- Er muss einen Jahresumsatz haben, der unter 5 Mio. Euro liegt.
Und das ist echt toll. Das sind Kriterien einer Kurt-Wolff-Stiftung; was die mit den Indiebookdays, einer Initiative des »mairisch Verlages« (ohne Bindestrich, wie heutzutage üblich), zu tun hat, ist nicht ersichtlich. Und die Kriterien, auf Wibkes Blog gefolgt von einer Freundesliste der Kurt-Wolff-Stiftung – also ganz objektiv ausgewählt –, erscheinen mir auch alles andere als intelligent. Denn:
Er muss konzernunabhängig sein.
Das ist für eine Aktion, in der es um unabhängige Verlage geht, eine völlig blöde Bedingung. Man könnte das allerdings auch anders interpretieren – als Klarstellung. Denn abhängig sind unabhängige Verlage auch: von Buchkäufern, von Druckereien, von Großhändlern, von Mitarbeitern, von Banken usw. usf. Also gut: konzernunabhängig. Ist mein Verlag auch.
Er muss ein allgemeines Programm aus den Bereichen Literatur und Sachbuch haben …
Ein »allgemeines Programm«. Hm. Aus Literatur und Sachbuch. Was heißt das? Zeitschriften gehen nicht, oder? Liebesromane auch nicht? Oder ist das Literatur? Ein bisschen schwammig die Bedingung. Wenn auch für meinen Verlag kein Problem – Literatur und Sachbuch mache ich.
… und darf kein Druckkostenzuschussverlag sein.
Klar. Oder? Warum eigentlich? Nur weil die Druckkostenzuschussverlagsverbrecher Schweine sind? Sind die Autoren, die da über den Tisch gezogen worden sind, auch Schweine? Dumme Schweine? Oder einfach nur wirklich von allen Seiten – auch aus der Richtung dieses Indiebookday – verarschte arme Schweine? Denn auch, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das in einem DKZV erschienene Werk nicht sooo toll ist – mit einer Erwähnung unterstützt man ja eigentlich nicht den widerwärtigen Abzockerverlag, sondern den schlecht informierten Autor, der vielleicht ganz glücklich wäre, einen Teil seines Geldes …
Naja, gut, also kein DKZV.
Er muss ein regelmäßig erscheinendes Programm haben.
Was heißt das? Ein Buch pro Jahr ist auch ein »regelmäßig erscheinendes Programm«. Oder heißt das, dass das eine Buch jeweils im Februar erscheinen muss? Und nicht etwa einmal im November und einmal im März oder August oder wann auch immer?
Dann falle ich mit meinem Verlag schon mal durch’s Sieb. Ich mache zwar das ganze Jahr Bücher, aber manchmal habe ich ein Buch im Monat, manchmal zwei, und wenn ich völlig krass drauf bin und es sich ergibt, auch mal vier. (Echt? Müsste ich glatt mal checken …)
Er muss eine nennenswerte Produktion haben (mindestens 4 Titel pro Jahr).
Gut. Das erfülle ich mit links.
Er muss mindestens zwei Jahre am Markt sein.
Das auch. Meinen Verlag gibt es seit 2004 (offiziell, eigentlich sogar schon seit 2003, aber das erste Buch kam 2004 heraus).
Er muss seine Bücher mit einer ISBN versehen.
Mache ich auch. (Damit sind, wenn man es genau nimmt, nicht mal Anbieter wie bookrix raus – die »verlegen« E-Books von Selfpublishern [und Verlagen wie dem meinen] mit eigenen ISBN, und was man solchen Anbietern im Gegensatz zu DKZVen nicht vorwerfen kann, ist, dass sie sich nicht um die Vermarktung kümmern; immerhin stellt bookrix die E-Books in allen E-Book-Shops ein, die nicht bei drei auf dem Baum sind, jedenfalls in deutschsprachige.)
Er muss eine professionelle Auslieferung haben.
Was soll das bitte sein? Das habe ich nicht verstanden – und vor allem weiß ich nicht, wieso ein unabhängiger Verlag ohne diese unklar definierte »professionelle Auslieferung« weniger unabhängig ist als ein Verlag mit einer solchen – woher man die auch immer bekommt.
Meine Verlagsauslieferung bin ich selbst, unterstützt vom Schaltungsdienst Lange in Berlin, der die Bücher lagert und auf meinen Zuruf in Form von Rechnung oder Lieferschein verschickt. Der Schaltungsdienst, das sind Profis – in jeder Beziehung. Aber ich wage mal zu bezweifeln, dass die im Sinne dieser Bedingungen professionell genug sind.
Er muss Mitglied im Börsenverein des deutschen Buchhandels sein.
Und das ist wohl die Höhe! Da soll ich einen unabhängigen Verlag haben und mich dann in den Börsenverein zwingen lassen? Was soll mir das bringen? Fickt euch!
Er muss über eine Verkehrsnummer verfügen.
Wozu? Kann ich damit mehr Bücher verkaufen?
Er muss bei den Barsortimenten vertreten sein.
Und auch hier die Frage: wozu? Abgesehen davon, dass ich mir als unabhängiger Verlag die Kalkulation restlos versaue – und damit auch die Buchpreise –, mache ich mich abhängig, bin also per definitionem nicht mehr unabhängig.
Und meine Bücher bekommt man auch ohne Barsortiment im Buchhandel. Freilich manchmal nur, wenn man an einen Buchhändler gerät, der einen marginalen Rest an Intelligenz zurückbehalten hat, um die heutzutage vielfältigen Möglichkeiten, Bücher zu bestellen, zu erinnern und zu nutzen. Es gibt auch genügend andere Beispiele, Beispiele von Buchhändlern, die eine Bestellung jenseits von KNV nicht zuwege bringen. Es gibt ja auch Buchgroßhändler, die zu doof sind, einen Verlag wahrzunehmen, obwohl der sie mit Mails nervt.
Er muss über eine Website verfügen.
Ach, echt jetzt?
Er muss einen Jahresumsatz haben, der unter 5 Mio. Euro liegt.
Wow! Unter fünf Millionen? Wie weit denn drunter? Reicht ein fünfstelliger Jahresumsatz?
Im DSFO, dem Deutschen Schriftstellerforum, wurde auch auf die Aktion hingewiesen; es wurde die Gründung einer DSFO-AG, einer Arbeitsgruppe, angeregt. Dort wurde auch darüber geschrieben, dass man die Bedingungen ja auch weniger streng auslegen könnte, wenn sonst alles stimmen würde. Also bei einer oder zwei Bedingungen mal ein Auge zudrücken und so. Solange der Grundgedanke erhalten bleibt.
Das ist in meinen Augen Wischerei. Augenwischerei. Oder auch Wäscherei. Am Ende sind die Bedingungen dann ausgewaschen wie alte Jeans. Die Vergleichbarkeit geht verloren, weil man nicht mehr nachvollziehen kann, wer welche Bedingungen wann wie ausgelegt oder ignoriert hat. Am Ende bleibt nur die Frage: Wozu dann überhaupt Bedingungen?
Vielleicht sollte man sich Gedanken über vernünftige Bedingungen machen, statt irgendwelche von irgendeiner Stiftung zu übernehmen, ohne – was ganz offensichtlich so geschehen ist – den Sinn dieser Bedingungen unter Berücksichtigung der eigentlichen Idee zu prüfen. Aber das ist natürlich Arbeit. Mehr Arbeit jedenfalls, als so ein lockerflockiges Projekt aufzulegen.
P.S.: »Wenn Ihr die Aktion gut findet, erzählt davon.« steht auf www.indiebookday.de zu lesen. Abgesehen davon, dass »ihr« hier klein geschrieben werden sollte, finde ich die Idee gut, die Aktion aber nicht. Warum das so ist, habe ich ja oben geschrieben. Die Frage, wer sich solche Kriterien einfallen lässt, muss wohl unbeantwortet bleiben. Kurt August Paul Wolff, der Namensgeber der 2000 gegründeten Stiftung, ist 1963 verstorben und hat mindestens über Websites noch nichts gewusst.
P.P.S.: Klar ist natürlich auch, dass die Kurt-Wolff-Stiftung www.kurt-wolff-stiftung.de den Kurt-Wolff-Preis vergibt. Und den Kurt-Wolff-Förderpreis. Und darüber hinaus gibt man den Katalog »Es geht um das Buch« www.kurt-wolff-stiftung.de/katalog heraus, in dem unabhängige Verlage – selbstverständlich im Sinne der Stiftung (siehe oben) – vorgestellt werden. Und ebensolche Verlage erhalten, wenn überhaupt, dann eben auch die Preise. Fein.
Wenn das oben die Kriterien sind, um in dem Katalog vorgestellt zu werden, dann brauche ich mir für meinen Verlag ja schon mal keine Gedanken darüber zu machen, was denn Wichtiges über meinen Verlag zu sagen wäre. Und wohin mit dem Gelde, das ist auch keine Frage. Wie schön – das Leben kann so einfach sein.