Definitiv keine Sprachfehler

Wolf Schneider
Hottentottenstotteertrottel
Mein langes, wunderliches Leben
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2015, Hardcover, 436 Seiten, ISBN 978 3 498 06435 8

VORBEMERKUNG
Wolf Schneider ist inzwischen gute 90 Jahre alt. Und, wie ich hoffe, bester Gesundheit. Ich wäre über sein Ableben zu jedem Zeitpunkt über alle Maßen unglücklich, denn Schneider ist für mich wichtig. Ich bin Verleger deutscher und deutschsprachiger Bücher, ich bin Rechtschreibpedant, Fehlerkorrekturpräzisionsscheißer und jeglicher Art falschen Umgangs mit der deutschen Sprache in Wort und Schrift feindlich gegenüber eingestellt. Ich habe einem von diesen neumodischen Asideutschteenies (»eyh, fick disch, Alda, oda isch fick dei Mudda!«) schon richtig Übles angedroht (»Ich fick dein Sprachzentrum, F***e, mit einem Messer, um es zu befreien!«), wenn er nicht ordentliches Deutsch lernt, bevor er mir meine Ohren vollsülzt.

WORUM GEHT ES?
Das Buch sind Wolf Schneiders Memoiren. Nicht mehr, nicht weniger. Es geht vor allem um seine journalistische Laufbahn, die ihn in die gehobensten Positionen bekanntester deutscher Magazine führte, sogar ins Fernsehen. Deutschlands erste Journalistenschule – nach Henri Nannen benannt – gedieh unter ihm prächtig – und seine Schüler und Studenten wohl ebenso (denn auch, wenn alle etwas zu kritisieren hatten, sie fanden ihn toll, den Wolf Schneider – und wer ihn nicht toll fand, ist vermutlich niemals aktiv tätiger Journalist geworden).
Neben diesem Hauptteil seines Lebens widmet er sich in einer Art Anhang auch noch der Vorgeschichte, seinem Leben im Dritten Reich, seinen Eltern, seinen Geschwistern, seiner Familie. Er hatte es nicht immer wirklich leicht, aber er war und ist (!) mit einer großen Gabe gesegnet – der Fähigkeit, Sprache nicht nur richtig im Sinne ihres Zweckes einzusetzen, sondern überhaupt auch zu sprechen und zu schreiben.

WAS GEFIEL?
Für jeden Menschen, der sich von den heutigen Missetaten der Menschen in seiner Umgebung, von Journalisten überall und allerorten, vom Umgang mit der deutschen Sprache auf Papier und auf dem Bildschirm belastet fühlt, ist dieses Buch eine Labsal. Es ist eine Wonne. Eine Ölung – nicht die letzte, aber die schönste. Es ist ein Genuss – und dieses Wort ist an dieser Stelle zu diesem Buch eine der absolut übelsten Untertreibungen, die man sich leisten kann –, dieses Buch von diesem Mann zu lesen. (Und wenn man Schneider aus seinen anderen Büchern kennt, erkennt man auch sofort, dass hier kein Ghostwriter am Werke war, sondern das Original höchstselbst.)

WAS GEFIEL NICHT?
Nichts. – Oh, doch. Warum ist der Mann schon so alt? Warum war das alles, was es über sein Leben zu schreiben gibt? Warum gibt es keine Garantie, dass er 200 wird, 250? Schluchz.

ZITAT GEFÄLLIG?
Das müsste eigentlich das ganze Buch sein.
Erwähnenswert ist beispielhaft das Kapitel »Todestal. 12000 Meilen durch die USA«. Auf 12 (zwölf! In Worten: 12!) Seiten beschreibt Schneider eine 12000-Meilen-Tour durch die USA – und der Leser hat hinterher den reproduzierbar sicheren Eindruck, nichts verpasst zu haben, gar nichts, absolut überhaupt gar nichts.
Ich kenne einige Bücher Schneiders – die sich direkt mit der Verwendung deutscher Sprache auseinandersetzen –, ich kenne auch viele andere Bücher, aber so was habe ich noch nicht gelesen.

ZU EMPFEHLEN?
Unbedingt.

NOCH WAS?
Wolf Schneider wird hoffentlich noch lange bei bester Gesundheit leben. Vielleicht noch einmal schreiben. Auf jeden Fall fürchte ich mich vor dem Tag seines Todes, denn für mich persönlich wird das ein schwarzer Tag werden, wie er schwärzer unter keinen Umständen sein kann. Derweil ich diese Rezension nun beende, kann ich mich dem Daumendrücken zuwenden, das mir angezeigt erscheint.

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