Tarkovskij im Kopf

In der Nähe von Ohlstadt, da, wo die Bundesstraße 2 die Autobahn 95 kreuzt, gibt es einen Parkplatz und direkt daneben eine Abzweigung. Die Straße führt an einem Wohnhaus vorbei, zu einem Bauernhof mit Pferden und Kühen, und dann über eine Brücke über die A95. Fährt man trotz des Durchfahrtverbotes – außer für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr – noch ein Stück, kommt man zum Flugplatz, einer einfachen Betonpiste für Segelflieger und vielleicht auch Motorflieger.
Der Asphalt führt weiter ins Murnauer Moos hinein, immer weiter, meist asphaltiert, manchmal auch nur geschottert, aber bis auf eine kleine schmale Brücke zwischendrin immer in Fahrzeugbreite.
Dort gehe ich gerne mit unserem Hund, wenn das Wetter eher herbstlich ist.

So wie heute. Und die Stimmung war seltsam. Gespenstisch. Unheimlich. Es war bewölkt, tröpfelte ganz leicht. Der Asphalt war nicht ganz trocken. Pfützen, Feuchtigkeit, als würde es nach einem heftigen Regenguss abtrocknen.
Nach einem Stück ging es in den Moorwald hinein. Wild, wuchernd, verwachsen. Ein Stück echte Natur. Ein Wald, der nicht bewirtschaftet wird, wie es mir immer schien. Heute war das Licht unheimlich. Das Grün rundherum war nicht wirklich grün. Es hatte einen ganz leichten Grauschimmer. Es ging kein Lüftchen. Und es war totenstill. Keine Insekten, keine Vögel. Keine Geräusche aus der Ferne. Sonst hörte man die Autos auf der A95 noch eine ganze Weile. Die Bahn zwischen Murnau und Oberammergau war im ganzen Moos zu hören. Aber heute –
Nichts.
Totenstille.
Nur meine eigenen Schritte, ab und zu das Kratzen der Krallen des Hundes auf dem Asphalt. Das Schleifen der Schleppleine.
Sonst nichts.

Spontan fiel mir »Stalker« ein, Tarkovskijs Film nach dem Buch der Strugatzki-Brüder. Ich hatte ihn zwei, drei Mal gesehen; das letzte Mal lag lange zurück. Details hatte ich nicht mehr im Kopf, nur ganz wenige. Und die Stimmung. Dieses unheimlich-düstere Licht, seltsame Bewegungen, die keine waren, nur die Kamera täuschte sie vor. Und die Männer, die sich unterhielten und doch nicht miteinander zu sprechen schienen. Erinnerungen –
Und als wir – mein Hund und ich – so durch diesen Moorwald gingen, war es mir, als wäre ich in einem Tarkovskij-Film. Der Asphalt, der nicht neu war, stellenweise ein wenig gebrochen, mit Erde und altem Laub bedeckt, an den Rändern. Zwischendurch Abschnitte mit Schotter. Auf der einen Seite ein Wassergraben. Nichts Fließendes, stehend, stellenweise grünlich, an einer Stelle leuchtend grün von Algen. An zwei Stellen stand das Wasser quer über den Weg. Der Hund sah mich unsicher an und wagte sich dann mutig hindurch; mutig, wie sie überhaupt ihre Scheu vor Wasser mehr und mehr zu verlieren begann.
Und die Stille. Die stehende Luft. Der unbewegliche, graugrünliche Wald. Nirgendwo ein Mensch. Von nirgendwo ein Geräusch. Wo war die Welt –
Und dann stand da auf der anderen Seite eines Baches ein Mann. Mitten in der Wildnis –
»Servus!«
»Habe die Ehre!«

Auf dem Rückweg erfasste mich fast unvermittelt ein Glücksgefühl. Klein, fast winzig, ganz leicht. Ein Glücksgefühl, das einen erfasst, wenn man auf einmal feststellt, dass man in diesem einen Moment alles hat, was man sich wünscht. Einen Spaziergang bei angenehmen Temperaturen. Ganz allein in einem Wald; dem eigenen Wald – Einen wunderschönen, liebenswerten Hund. Ein Heim. Eine Frau. Dinge, die man erledigen wollte und schon erledigt hat. Dinge, die man noch vorhatte und auf die man sich freute. Einen Hund, der sich auf seine Salatgurke zu Mittag freute.

Tränen.

Ein solches Glücksgefühl war mir nicht unbekannt. Selten, ja. Aber nicht unbekannt. Ich erinnerte mich an das lichte Glück auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, vor fast sieben Jahren, als ich nach einer langen Wanderung auf den Zug wartete, der mich zu meinem Auto in Dorf Mecklenburg zurückbringen würde.

Ich hätte meinen Hund gerne in den Arm genommen. Aber ich wusste ja, dass das nicht so ihr Ding ist. Also gab es nur ein Leckerli, eine Hand am Ohr. Und dieses Glücksgefühl –

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