Volksgruppenverarbeitungsziegelstein

Thomas Plischke
DIE ZOMBIES
Piper, München & Zürich, April 2010, Umschlag: semper smile, Guter Punkt & Sylwia Makris, Paperback, 480 Seiten, ISBN 978 3 492 26746 5

Der Name Plischke war mir kein Unbekannter. Durch Erik Schreibers Phantastischen Bücherbrief hatte ich schon indirekt mit ihm zu tun. Aber da mir Orks, Zwerge, Elben und anderes Volk nicht sonderlich liegen, hatte ich bis dato nie so den wirklichen Anreiz gefunden, mir eines seiner Werke zu Gemüte zu führen. Bei »Die Zombies« war das insofern anders, als ich schon gelesen hatte, dass diese Geschichte, was die Verwendung altbekannter Figuren anging, etwas anders gelagert sein sollte. Gemeinhin kennt man Zombies ja vor allem aus Kinofilmen nur als tumbe, stur auf ein Ziel namens Fleisch zuwankende Gestalten, die nur eines im Sinn haben: Fressen. Selbst der Chefzombie aus der »I Am Legend«-Verfilmung mit Will Smith wirkte da schon im Vergleich mit anderen Vertretern seiner Art hyperintelligent.
Lily ist Doktorandin und beschäftigt sich mit dem Mythos der lebenden Toten. Als sie ihren Großvater verliert, lernt sie auf der Beerdigung Victor kennen. Gottlieb, mit dem sie befreundet ist – und mit dem sie eine Beziehung haben könnte, würden sie sich nicht gegenseitig auf Abstand halten –, muss überraschend in die deutsche Heimat zurückkehren, um nach dem Tod seines Vaters einen Teil des Familiengeschäftes zu übernehmen. Victor ist ein wenig ungeschickt, und so wird Lily auf einer Veranstaltung, die Victor ihr zeigen wollte, von einem Zombie gebissen – und verwandelt sich. In einer dritten, anfangs ein wenig überraschend wirkenden Handlungsebene geht es um ein Dorf in Schottland, Manger genannt, in dem die sogenannten »Alten« das Sagen haben, seltsame Riten und – vor allem für Außenstehende – nicht immer schmerzfreie Ereignisse das Leben der Menschen bestimmen; unter ihnen auch Ben und Alice. Victor ist schließlich gezwungen, sich in Manger einzufinden, um Dinge zu klären, und da Lily ihn begleitet, begegnen sich Gottfried und sie wieder – denn Gottfrieds Beruf hat gleichermaßen mit lebenden Toten zu tun.
Viel mehr muss man über die Handlung nicht schreiben. Der Plot ist auf höchst klassische Weise gestrickt, indem sich anfangs zwei Personen trennen müssen, die sich am Ende wieder finden, während zwischendurch Entwicklungen zu Veränderungen führen, die die Wiederbegegnung zwangsläufig unter anderen Vorzeichen geschehen lässt, als die Trennung stattfand. Es gibt wenig gravierende Wendungen, die zu großen Überraschungen für den Leser führen, jedoch anzunehmen, dass die Handlung hierdurch unspannend wäre, wäre ein Irrtum: Plischke schreibt geschickt und wenig offensichtlich, und gerade weil die Zombies in diesem Buch nicht den bekannten Klischees entsprechen, bleibt das Buch von vorn bis hinten spannend.
Die Zombies in diesem Buch sind eine durchaus facettenreiche »Rasse« – wenn man diesen Begriff mal verwenden möchte. Es gibt natürlich die bekannten tumben Charaktere, die nichts als Fressen im Sinne haben; einer von diesen ist schuld an Lilys Schicksal. Aber es gibt auch die intelligenten Varianten, die ihr »Leben« im Griff haben, darunter natürlich Victor, auch Lily – mit Victors Hilfe –, die »Alten« in Manger, im Grunde ganze Familien, Organisationseinheiten, die das Leben der an sich nicht sehr angenehmen Wesen unter den normalen Menschen überhaupt ermöglichen und organisieren. Das Buch wäre restlos unspannend, würde das alles so reibungslos funktionieren – es fängt ja schon mit Lilys »Unfall« an –, und auch die Menschen, die für die Zombies arbeiten und sie unterstützen, können nicht verhindern, dass es letztlich in einem furiosen Showdown den meisten Zombies an den Kragen geht.

Das Buch selbst hat im Grunde ein open end, es bietet einen Ansatz für eine Fortsetzung, auch wenn ich diese persönlich für nicht sehr wahrscheinlich halten würde. Der Roman, wie er vor einem liegt, ist in sich schön schlüssig und stimmig.
Die Handlung dreht sich eigentlich vorrangig um die Verwandlung Lilys und die verschiedenen Stufen, in denen sie letztlich lernt, auch ohne Victors direkte Hilfe ihren Hunger unter Kontrolle zu halten, ein intelligentes Wesen zu bleiben und nicht zu einem reinen, geistlosen Fleischfresser zu verkommen.
Die Tatsache, dass Victor nur Menschen tötet, um seinen – und später auch Lilys – Bedarf an rohem Fleisch zu decken, die es verdient haben, mithin Verbrecher und böse Menschen, führt den Leser letztlich eigentlich nur in die Irre, denn dieses Vorgehen ist eigentlich nur eine clever gewählte Schutzmaßnahme: Würden normale, unschuldige Menschen sterben, wäre der Aufwand, nach ihnen und dem Verursacher ihres Verschwindens zu suchen, sehr viel größer.
Und Gottliebs Job als Zombiejäger ist im Grunde nur eine Variante der sittsam aus Film und Literatur bekannten Vampirjäger. Die Waffen sind andere, die Vorgehensweisen, die Opfer auch. Aber sonst –
Der Reiz des Buches entsteht in der Tat aus der Erwartung des Lesers, hier einen anderen Umgang mit der Standardfigur des Zombies zu erfahren, und diese Erwartung wird nicht nur nicht enttäuscht – sie wird voll und ganz befriedigt. Die Geschichte ist einwandfrei aufgebaut, eine einwandfreie – nahezu filmreife – Spannungskurve mit einem Showdown, der dem Genre angemessen ist – eine Verfilmung wäre definitiv blutig, aber hallo! –, mit gut gezeichneten Figuren – einzig Victor fällt gegen Ende hin etwas zu sehr in Richtung von Klischees ab – und einer glatten, schnellen, einwandfreien Sprache, die zumindest genau meine Art, Formulierungen sehen zu wollen, genau meinen Geschmack der Ausführlichkeit getroffen hat.
Ich bin ein sehr filmliebender Mensch, und bei guten Büchern kommen mir sofort Bilder vor Augen, die mir zu zeigen versuchen, wie die gelesene Handlung als Film aussehen würde. Als Victor würde ich mir Shane Brolly vorstellen, der den Kraven in »Underworld« spielte, nicht ganz so unfreundlich und aggressiv wie dort, jedenfalls nicht zu Beginn des Buches, aber vom Erscheinungsbild her schon. Bei Lilys Rolle bin ich mir nicht sicher, da die meisten Schauspielerinnen, die ich gerne sehe, mehr oder weniger bereits in gewissen Klischees laufen oder gerne mit solchen in Verbindung gebracht werden; gut könnte ich mir allerdings Keira Knightley in der Rolle vorstellen, da ich beim Lesen fand, dass ihre Mimik zu den Plischkeschen Beschreibungen passen würde. Und als Gottfried würde ich einerseits gerne ein Klischee – das des blonden Deutschen – bedient sehen, andererseits würde mir aber noch eher Jake Gyllenhaal in der Rolle gefallen, dessen Gesicht mir als erstes einfiel. Und dann die Jovovich als seine Assistentin Nicole …

Fantasy in der reinen Kultur, was ich eigentlich darunter verstehe, ist das Buch nicht, aber da ja die ganzen Volksgruppenverarbeitungsziegelsteine dazu gerechnet werden, solange es jedenfalls um Orks, Elben & Co. geht, wird das wohl auch hier der Fall sein. Wie auch immer –
Relevant ist für mich, dass mich das Buch nicht einen Augenblick gelangweilt hat – erkennbar daran, dass ich für die Lektüre sogar andere Arbeiten schleifen ließ, das ist bei mir immer ein untrügliches Zeichen für die Qualität eines Buches – und weiterzuempfehlen ist.

Diese Rezension ist eine Vorabveröffentlichung aus MAGIRA – JAHRBUCH ZUR FANTASY, Ausgabe 2010, die Anfang August 2010 erscheinen wird. Weitere, jeweils aktuelle Informationen und Bestellmöglichkeiten finden sich auf www.magira-jahrbuch.de.

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