Aus dem VDS-Infobrief vom 20.05.2024 und zum Thema der Literaturpreiskriterien:
Es ist nur noch peinlich. Da beschreiben zwei Autorinnen in der Zeit, wie mühsam es war, einen Gewinner bei einem Literaturpreis zu küren. Und das nicht etwa, weil die eingereichten Bücher so schlecht oder gut waren, dass man sich nicht entscheiden konnte. Nein, die Entscheidung wurde diskutiert, weil der Hintergrund der Autoren zum vermeintlichen Stimmungsbild der Gesellschaft passen musste. Zu viele Weiße? Geht nicht, was ist mit den schwarzen Autoren oder jenen, die aus anderen farblich abgesetzten Teilen der Welt kommen? Zu viele Männer? Geht auch nicht, denn auch Frauen sind ja schließlich in der Lage, (Bücher) zu schreiben. Zu Französisch oder Spanisch? Fast; ist ja immerhin fremdländisch, aber nicht exotisch genug. Das Werk selbst wird in den Hintergrund gerückt, weil es wichtiger ist, sich politisch korrekt zu positionieren.
Mit dem schließlich ernannten Sieger war man insgesamt zufrieden, ist das Werk doch wirklich authentisch und würdig, da es ein Leben repräsentiert, das bisher noch nicht gehört wurde. Doch der Weg dahin ist einer Jury unwürdig. Wenn ein Preis schon bestimmte Kriterien voraussetzt, dann ist es Aufgabe der Juroren, die eingereichten Werke anhand genau dieser Kriterien zu begutachten und durchaus darüber zu streiten. Die Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung dürfen durchaus im Werk wichtig sein, sie sollten aber nicht Grund für oder gegen eine Preisverleihung sein. Kunst ist Gefühl, sie ist Ausdrucksstärke, Eindringlichkeit. Wenn ein Autor es schafft, einen Leser in seinem Innersten zu berühren, ist das das Einzige, das zählen sollte. Politik hat bei der Entscheidungsfindung vor der Tür zu bleiben. Wer Werke aufgrund einer political correctness auszeichnet, nimmt ihnen die Würde, denn er reduziert sie auf eine politische Ebene, die nicht immer Bestandteil der Werke sein muss.
Juroren haben blind zu sein für persönliche moralische Einstellungen, allein dem Buch muss die Aufmerksamkeit dienen. Und wenn in einem Jahr nun mal keine Non-Binären mit Migrationshintergrund, dafür mit Rollstuhl, in die engere Auswahl gekommen sind, sondern ausschließlich Männer in einer Vorauswahl die meisten Punkte einfahren konnten, dann hat auch diese Liste ihre Berechtigung. Wer Menschen und ihre Werke auf das Geschlecht oder die Hautfarbe des Autors reduziert, hat Literatur nicht verstanden. (Doro Wilke)