Anke Jablinski: Every Little Path – Jeder kleinste Pfad

Vielleicht habe ich an Anke etwas gut zu machen. Immerhin war meine Rezension zu ihrem Buch »Zufluchtsort Malta« nicht uneingeschränkt positiv ausgefallen. Obwohl sie eigentlich nichts dafür konnte, dass sie meine Ansprüche und Erwartungen nicht erfüllte. Aber dass mir ihr Buch nicht gefallen hat, sagt sowieso nichts über diese Frau aus, die ich gerne einmal persönlich kennenlernen würde.
Es gibt sicherlich eine ganze Reihe Malta-Fans in Deutschland (und Deutsche auf Malta, die auch zu dieser Gruppe gehören). Arndt Beitat mit seiner Website Malta-Online gehört dazu. Und ganz sicher auch Anke Jablinski, die nicht nur einen Malta-Shop in Berlin betreibt, sondern auch sonst sehr rührig in Sachen deutsch-maltesischer Beziehungen ist. Vor Kurzem erschien ein Artikel von ihr in einem maltesischen Magazin namens »First«, das zum maltesischen »Independent« gehört. Anke war so nett, mir den deutschen und ungekürzten Originaltext zur Verfügung zu stellen, den ich hier gerne präsentiere. (Den Artikel aus dem maltesischen Magazin kann man hier herunterladen, wenn man mag.)

Als Kind sammelte ich mit großer Begeisterung Münzen und Briefmarken. Mein Opi war ein echter Kenner und besaß von beidem eine riesengroße Sammlung, und er brachte mir vieles bei. Bald hatte auch ich eine vorzeigbare Sammlung, darunter befanden sich auch etliche Briefmarken aus Malta. Meine große Liebe aber galt den maltesischen Münzen, es gab achteckige und zehneckige, und sie waren deshalb etwas ganz Besonderes. Ich weiß noch, wie ich meine USA-Münzen gegen die Malta-Münzen meines Freundes Boris eintauschte. Im selben Alter (ich war ungefähr zehn Jahre alt) reiste unsere Familie nach Österreich, wo wir auch das Maltatal besuchten, das mir vorkam wie der Regenwald. Seitdem brachte ich Malta immer mit grünen, üppigen Wäldern und gigantischen Wasserfällen in Verbindung. Malta, das waren orientalisch anmutende Münzen, eher seltene Briefmarken und Regenwald, das war meine kindliche Vorstellung.
Als ich 1987 das erste Mal Malta und Gozo bereiste, fiel mir sogleich eine kleine 5-Cent-Münze in die Hände, in der die Ecken noch im Inneren angedeutet waren. Ein Krebs war darauf abgebildet, und weil der Krebs mein Sternzeichen ist, ließ ich mir gleich von einem netten maltesischen Schlosser ein Loch durch die Münze bohren, sodass daraus ein Anhänger wurde, den ich noch heute besitze. Es gab auch tatsächlich noch immer richtig eckige Münzen, das 25-Cent-Stück und das 50-Cent-Stück.
Ich war nicht enttäuscht, dass es keinen Regenwald und Wasserfälle auf dem maltesischen Archipel gab. Längst war ich viel gereist, so wie ich es mir als Kind schon beim Marken- und Münzensammeln erhofft hatte, und längst hatte ich auch karge Landschaften in mein Herz geschlossen. Mein Entschluss stand bereits nach den ersten Tagen auf Malta fest: Ich wollte den Archipel richtig gut kennenlernen, jeden auch nur erdenklichen Winkel erkunden. Dieses Land war klein, und somit musste das möglich sein.
Ich mietete mir einen Wagen und lief von jedem angesteuerten Ziel zu Fuß meilenweit weiter und wieder zum Auto zurück. Wir waren in unserer Familie immer schon viel gewandert, und hier auf Malta entdeckte ich diese Leidenschaft trotz fehlender Berge zurück. Ich lief und lief und lief, von morgens bis abends, oft ohne Unterbrechung, fast wie eine Besessene. Mein maltesischer Freund glaubte an eine Übertreibung, als ich ihm erzählte, dass ich von St. Julians nach Marsaxlokk gelaufen war. Aber es war wahr. Ich hatte lediglich einen Bus zurück nehmen müssen, denn ich wohnte in St. Julians, und hatte mich am besagten Tag zu Fuß auf den Weg gemacht.
Damals lief ich oft noch eher gewöhnliche Wege, meistens sogar Straßen oder an der Küste entlang. Gerne erinnere ich mich daran, dass man von Msida über Gżira, Sliema, St. Julians und Paceville, St. Georges Bay bis nach St. Andrews und Pembroke laufen konnte, fast ohne die Küste verlassen zu müssen, was heute längst nicht mehr möglich ist. Wo es in Paceville damals einige wenige Unterbrechungen gab (das damalige Hilton Hotel), ist dieser Weg heute gar nicht mehr vorhanden, überall sind Hotels entstanden.
Auf meiner zweiten Reise war es um mich geschehen und mein Plan, Malta, Gozo und Comino vollkommen gründlich kennenzulernen, nahm Gestalt an. Nicht nur jeden Ort, sondern jeden Fleck wollte ich kennenlernen. Da meine Liebe zu Malta und Gozo Liebe auf den ersten Blick gewesen war, setzte sich auch hier schon die Idee fest, das Buch Zufluchtsort Malta zu schreiben. Neben historischen Fakten schien es sinnvoll, die Inseln wirklich gut zu kennen. Ich setzte mir die fixe Idee in den Kopf, jeden noch so kleinen Pfad zu erkunden und mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass es sich auf Malta nur lohnt, bei den Dingli Cliffs zu wandern.
Mein erstes Ziel bestand darin, die Inseln in Abschnitten an der Küste entlang zu umrunden, was sich als schwer, aber doch meist irgendwie machbar erwies, da ich auch durchaus gerne kletterte. RTO-Zeichen und Jäger stellten ein Problem dar, manchmal auch Hotels oder Privatgrundstücke, und es galt, Rücksicht zu nehmen und den kleinstmöglichen Umweg zu finden. An einigen Stellen, an denen die Felsküste zu zerklüftet ist und es außerdem große Erdspalten gibt, ist das Vorankommen schwer, und auch hier musste ich oft Umwege in Kauf nehmen. Auf Comino hatte ich das Ganze gewissermaßen geübt, um es auf Gozo fortzusetzen und das Projekt schließlich auf Malta zu vollenden.
Nach wenigen Malta-Reisen in den achtziger und neunziger Jahren kannte ich Malta bereits sehr gut. Ich war sowohl auf vier Rädern als auf zwei Beinen außergewöhnlich viel unterwegs gewesen und fühlte mich bereits wie zu Hause, wenn ich mal wieder nach Malta kam. Ich ahnte damals noch nicht, dass ich fünfzig Aufenthalte brauchen würde, um meinem Ziel, jeden Pfad kennenzulernen, so nahe wie möglich zu kommen. Längst aber nannte ich meine Malta-Reisen auch insgeheim mein »Every-little-path-Project«.
Nun, es gibt immer noch Pfade, Wege und Straßen, die ich nicht kenne, da bin ich mir sicher, alles andere wäre eine Lüge oder eine Übertreibung. Aber ich habe getan, was ich konnte, und kann sagen, dass ich Malta, Gozo und Comino so gut zu Fuß abgelaufen bin, wie es geht. Mehr geht nicht. Schon bei dem ersten Abschnitt, dem Küstenrundgang, stieß ich auf Gegenden, die ich nie in einem meiner damals bereits vielen Malta-Büchern gesehen hatte. Die Küsten der maltesischen Inseln zu bewandern, könnte man in Kurzform ungefähr so ausdrücken: Steilküsten – Türme – Salzpfannen.
Aber es gibt eben auch noch viel, viel mehr Interessantes und Sehenswertes. Gerne denke ich bei Gozo zum Beispiel an die einzigartigen Einschnitte Reqqa Point, Pinu Point und Mgarr ix-Xini.
Eine Wanderung, die sicher von vielen vorgenommen wird, ist die Steilküste von Xlendi nach Mgarr ix-Xini; von dort hat man einen bezaubernden Blick nach Comino und Malta. Vom Dwejra Point zum Hekka Point war es hart, aber im Frühjahr wurde ich durch weich anmutende Wiesen belohnt. Einen schönen Blick auf Comino hatte ich auch, als ich von Ħondoq über Mgarr nach Xatt l-Aħmar wanderte.
Natürlich gehörte es dazu, dass ich alle Türme erkundete, wenn ich schon abschnittsweise die Küste entlang wanderte. Manchmal wanderte ich von Turm zu Turm, aber oft setzte ich mir ein anderes Ziel. Ich wanderte oberhalb der Fomm ir-Riħ-Bucht entlang, durch das Baħrija Valley bis nach Tal Merħla, oder von der Küste oberhalb der Golden Bay zum Għajn Znuber Tower. Ebenfalls schön war der Küstenweg im Osten der Insel Malta, vom Fort St. Rocco über Xgħajra zum Zonqor Point. Damals gab es noch weniger Unterbrechungen, wenn ich von Xemxija über die Mistra Bay nach Mellieħa wanderte, und ein Spaziergang an der Küste von Sliema und Tigné, rund um Manoel Island und an der Küste entlang bei Ta’ Xbiex war auch noch schöner anzuschauen. Bei Tigné standen hübsche alte Häuser aus der Kolonialzeit. Auch Delimara und Xrobb l-Għaġin einmal zu umwandern, oder die Küste südlich des Ħal Far Airfields abzulaufen, wurde zu einem Abenteuer.
Farmer oder Jäger, denen ich begegnete, glaubten oft kaum, wo ich herkam und was mein Ziel war. Oft grenzte der Rückweg an eine Tortur, denn schließlich musste ich zu meinem Auto zurück, und in den Sommermonaten musste ich bis zu sechs Liter Wasser mitschleppen, die tatsächlich ausgetrunken waren, wenn ich meinen Mietwagen am Ende der Tour erreicht hatte. Ich erinnere mich an Wanderungen, bei denen ich vorzeitig mein Wasser ausgetrunken hatte, und richtig litt. So verlegte ich bald die wirklich weiten Wanderungen in die Wintermonate.
Der zweite Abschnitt meines Vorhabens galt den Städten. Nun wurde wieder englisch kommuniziert, denn auf dem Lande hatte ich mein gerade erlerntes, bescheidenes Malti auf die Probe stellen können und müssen. Die größten Städte, bzw. die Gegend im Osten, in der große Städte wie Birkirkara, Ħamrun und Qormi ineinander übergehen, fuhr ich mit dem Auto ab, um sie richtig kennenzulernen. Hier handelte es sich bei meinen Fußwegen eher um Spaziergänge von ein oder zwei Stunden mit netten kleinen Päuschen in einem Café, einer Bar oder einem Restaurant. Spannend war es jedoch in den kleineren Ortschaften und Dörfern, und wieder sah ich viele Dinge, die ich ohne mein »Projekt« niemals gesehen hätte.
Von nun an quartierte ich mich immer in der Gegend ein, die ich gründlich erkunden wollte. So wohnte ich in Qrendi, um mir von dort aus Żurrieq, Bubaqra, Safi, Mqabba und Kirkop genau anzuschauen, oder in Marsascala, um mir Marsaxlokk, Birżebbuġa, Żejtun, Għaxaq, Żabbar und Fgura gründlich anzusehen usw.
Auf Gozo machte ich es genauso. Ich wohnte in Għarb, um den Westen zu erkunden, in Xlendi oder Ta’ Cenc, wenn ich den Süden erkundete, in Qbajjar, wenn der Norden es mir gerade angetan hatte, und in Għajnsielem, wenn der Osten an der Reihe war. Anders als auf Malta kurvte ich in den Ortschaften natürlich nicht mit dem Auto durch die Straßen und Gassen, sondern ließ den Wagen am Ortseingang stehen, um zu Fuß weiterzugehen.
In dieser Zeit entstand die Idee, den Gegenden jeweils einen persönlichen Namen zu geben, den ich auf der Karte eintrug. So hieß die Gegend um Għaxaq die Gegend der schmuckvollen Häuser, das Gebiet um Għargħur, Naxxar und Mosta die Gegend der Brücken und Stufen, die Drei Städte und Valletta war die Gegend der Bastionen, Mdina und Rabat die Gegend der Stille, Marsaxlokk und Birżebbuġa die Gegend der vielen Farben, und die Orte um Qrendi und Żurrieq nannte ich Gegend der Frömmigkeit und Freundlichkeit.
Der dritte Teil meines Vorhabens war vielleicht sogar der schönste. Nun hieß es, Landschaften im Innern der Inseln zu erkunden, und ich war fasziniert, dass die Inseln noch immer so viele kleine Dinge zu bieten hatten, die ich noch nie gesehen hatte. Vor allem kleine Kirchen und Kapellen, die selten nur irgendwo abgebildet waren, faszinierten, denn einige lagen unter Felsvorsprüngen, andere waren richtige Höhlenkirchen, und wieder in anderen waren alte Bilder zu bestaunen. Gerne erinnere ich mich daran, wie ich etwa Il-Maqluba, Ħal Millieri, die Kuncizzjoni Church, Santa Maria ta’ Bir Miftuħ oder San Dimitri auf Gozo entdeckte, oder mir die Höhlenkirchen mitten in Mellieħa oder San Ġwann anschaute.
Da mein historisches Hauptinteresse allerdings den Tempeln Maltas gilt, ließ ich mir sämtliche Stellen zeigen, an denen unbekanntere Tempelreste zu finden sind, oder Tempelanlagen vermutet werden. (Hier gab es ein unangenehmes Erlebnis: Bei Kordin wurden wir von Schülern mit Steinen beworfen, als mein Begleiter und ich uns die Tempelreste ansahen.)
Die Landschaft, die sich mir nun erschloss, war schier unglaublich! Ob ich mich auf Gozo zwischen Santa Luċija und San Lawrenz, in der Gegend um Żebbuġ, im Osten bei Qala, oder ob ich auf Malta die Victoria Lines und Dwejra Lines abwanderte, es wurde für mich immer abenteuerlicher! Die Gegend westlich der Chadwick Lakes (die nicht nur bezaubernd sind, sondern wo es – wenn man so will – doch tatsächlich einen Wasserfall gibt!) ist wunderschön und vielseitig, es gibt Berge, karge und grüne Landschaften und fast versteckte Kapellen. Ich hatte zuvor das Marfa Ridge (die Gegend der Mondlandschaft genannt), das Bajda Ridge (Gegend der Igel) und das Wardija Ridge in der »richtigen« Reihenfolge erwandert, und war nun fasziniert von Tas-Santi, Bingemma und anderen kleinen Orten. Immer wieder erschlossen sich mir neue Wege und Pfade, auf beiden Inseln. Wenn ich vorher schon etliche Male in Mdina selbst stundenlang spazieren gegangen war, erkundete ich nun die Gegend um die schweigende Stadt, und danach die Gegend im Hinterland Rabats, das Girgenti Valley mit dem Laferla Cross und die Gegend um Siġġiewi, wo ich mich einmal richtig verlaufen habe, als es bereits dunkel war (wie sich später herausstellen sollte, war ich damals stundenlang im Kreis gewandert). Auch Valletta und die Drei Städte hatte ich schon sehr oft gründlich zu Fuß erkundet, nun aber wollte ich auch hier sozusagen das Hinterland erkunden, und stieß auf kleine Orte wie Bidni oder San Leonardo.
Natürlich könnte ich noch von viel mehr Orten, Städten, Kirchen und Türmen berichten, und viele schöne Plätze, die ich gesehen habe, bleiben unerwähnt, da dieser Bericht sonst nie enden würde. Mein geliebtes Gozo habe ich so ziemlich komplett bewandert, aber auch hier habe ich fünfzig Reisen gebraucht. Auf Malta mag es Lücken geben, außerdem hat sich vieles in den dreiundzwanzig Jahren, in denen ich den Archipel bereiste, verändert. Ich bin mir sicher, auf meiner nächsten Reise wieder einen kleinen Schatz zu entdecken, und einen gibt es definitiv, den ich noch nicht kenne: Filfla! Sie würde sicher den Namen erhalten: Gegend der Vögel. Ich würde meinen letzten Kringel auf eine meiner vielen Malta-Karten machen, denn heutzutage sammle ich zwar keine Münzen und Briefmarken mehr, aber ich habe eine stattliche Sammlung Malta-Karten, wen wundert’s?

Anke ist, wie erwähnt, sehr rührig. Sie ist Künstlerin mit eigener Website: www.ankejablinski.de, hat einen Maltashop in Berlin – sie verschickt auch von dort aus: www.ankes-malta-shop.de, und einen eigenen Copyshop: www.ankescoppeeshop.de.

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