– ist sie nun hier. Kim. Oder eigentlich Gigi. Steht jedenfalls in den Papieren. Aber kein Mensch nennt einen Hund Gigi. Heute genau vor einem Jahr haben wir sie geholt. Bei einem Verein in Odelzhausen. Und was damals so frustrierend begann, ist dann heute doch eine kleine Erfolgsgeschichte.
Ich hatte schon einmal einen Hund. Nicht ich, meine Freundin, spätere Frau. Kim, ein Labrador-Airdale-Terrier-Mix, schwarz, mit einem Ringelschwanz, ein Herz von einem Hund, dessen einziges Problem seine Jagdleidenschaft auf Wild war.
Es gab eine lange Pause, die ein wenig damit zu tun hatte, dass ich nie sicher war, ob ich noch einmal so einen Hund finden würde, wie diese Kim. Oder ob ich es überhaupt wollte.
2011, eine andere Frau, andere Umstände, es gab immer wieder Überlegungen, sich Haustiere anzuschaffen. Meine Frau hätte lieber eine Katze gehabt; ich mag keine Katzen. Ein Hund schien machbar, auch wenn unsere Schönheitsideale grundverschieden sind: sie steht mehr auf die bulligen à la Rottweiler, ich mehr auf die schlanken à la Setter, Labrador & Co.
Im Mai wurde ich dann ein wenig überfahren, aber die Gegenwehr war gering. Wir fuhren zu dem Standort eines Vereins in Odelzhausen und sahen uns die dortigen Hunde an. Sie waren lieb und knuffig, alle gezeichnet von unterschiedlichsten Schicksalen, alles keine wirklichen Glückspilze im allzu kurzen Hundeleben. Aber was wir … was ich mir vorstellte, war nicht dabei.
Ich beschrieb meine alte Kim, und die Chefin von dem Laden dort meinte, da wäre demnächst vielleicht etwas dabei. Sie versprach, Bilder zu mailen, von einem Hund, der am Wochenende nach unserem ersten Besuch nach Deutschland kommen sollte.
Die Bilder kamen und es war sofort klar, dass das unser Hund sein würde. Seit ich meine alte Kim das letzte Mal gesehen habe – 2005 -, waren einige Jahre vergangen, und so schien mir der Hund, den ich da sah, fast so auszuschauen wie sie. Der Wunsch als Vater des Gedankens …
Wir fuhren jedenfalls noch einmal nach Odelzhausen, um den Hund abzuholen, der uns als einjährig, kastriert, Menschen, Kinder und andere Hunde liebend, aufmerksam, verspielt und gut an der Leine gehend angepriesen worden war.
Der Hund war – und ist – ein Mädchen, eine Sie. Gigi laut Papieren, einem ungarischen und einem in Ungarn ausgestellten EU-Pass. Sie war etwas kleiner als die alte Kim, sie war nicht ganz so schwarz (wie wenig schwarz sie wirklich ist, haben wir erst einige Zeit später gesehen), sie war scheu (immerhin hatte sie eine Nachtfahrt aus Ungarn hinter sich und war überhaupt erst seit einigen Stunden in Deutschland) und ein wenig matt, müde. Aber sie gefiel mir, und wenn sie meiner Frau nur gefiel, weil sie mir gefiel, dann war es damals egal und ist es heute sowieso gleichgültig.
Wir nahmen sie mit, nahmen sie mit nach Hause, und dann ging es los.
Gigi war ein hübscher Hund, unzweifelhaft. Sie ist heute, nachdem sie ein knappes Jahr Hundeschule und durchaus intensive Arbeit mit ihr hinter sich hat, auch der »absolut tolle Hund«, als der sie in der Anzeige beschrieben war. Sie liebt keine Menschen; sie liebt allenfalls meine Frau und mich, und den einen oder anderen meiner Kollegen kann sie leiden; das war’s. Kinder? Besser nicht – um der Kinder willen. Und andere Hunde – nun ja, sie kann sie nicht nicht leiden, tatsächlich sind ihr die meisten eher egal.
Aufmerksam ist sie inzwischen auch. Verspielt wird sie wohl nie sein. Und das mit der Leine …
Das eigentliche Problem war, dass über die Vorgeschichte des anderthalbjährigen Hundes – wir haben ihren Geburtstag auf unseren Hochzeitstag gelegt: 11.11. – nichts bekannt war und ist. Sie war scheu, ängstlich – nein, verängstigt –, sie konnte überhaupt nicht mit mir (und hat es heute noch nicht so richtig mit fremden Männern), was ein Problem war, weil ich eigentlich die Hauptbezugsperson sein sollte. Sie wollte nicht wirklich rausgehen, war anfangs nicht stubenrein – kannte vielleicht nicht mal das Innere einer Wohnung oder eines Hauses; wir schätzen, sie hat ihre Jugend auf einem Schrottplatz oder einer ländlichen Autowerkstatt verbracht –, sie war ein armes, erkennbar geschundenes Wesen und … ich war verzweifelt. Es gab am Anfang einige Situationen, wo ich so weit war, aufzugeben – und ich bin niemand, der ganz so leicht aufgibt.
Die ganzen Details wird es vielleicht einmal in ihren Memoiren zu lesen geben.
Kim heißt heute nicht mehr Gigi, weil ich mich an diesen Namen nicht gewöhnen konnte, und Gigi immer Kim nannte. Sie hat nie wirklich auf den Namen Gigi reagiert, insofern denke ich, dass das ein Alibiname für die Papiere war. Kim hat sie heute angenommen, und wenn sie nicht hört, dann liegt das nicht am Namen, sondern daran, dass sie ihren eigenen Kopf hat.
Dass sie nun ein Jahr hier ist und ich sie liebe, dass sie ein »absolut toller Hund« geworden ist, das ist unter anderem auch unserer Hundelehrerin zu verdanken, die mit simplen Tricks und einfachen Regeln und immer wieder aufmunternden Worten dafür gesorgt hat, dass wir alle drei nicht aufgegeben haben.
Kim hat sich in diesem einen Jahr sehr verändert. Zu ihrem Vorteil. Sie ist gegenüber Fremden immer noch zurückhaltend, aber nicht mehr ängstlich. Sie ist ein bisschen eifersüchtig auf Herrchen und Frauchen, wenn wir beide miteinander umgehen – nicht, weil sie das unterbinden möchte, sondern, weil sie auch ihren Anteil abkriegen möchte. Schmuseeinheiten. Sie hat immer noch viel zu lernen, ohne Zweifel: Wir würden uns mehr soziale Kontakte mit anderen Hunden wünschen, doch auch in der Hundeschule ist sie meist desinteressiert; vielleicht braucht sie einfach nur einen Freund für’s Leben. Und auch, was die tägliche Routine angeht, ist da noch vieles Baustelle.
Aber sonst? Ein Jahr ist sie jetzt hier, ein langes Jahr – nicht nur aus Hundesicht, für sie sind ja eigentlich sieben Jahre vergangen –, ein anstrengendes Jahr, ein Jahr mit einigen Tiefschlägen, einigen kritischen Situationen, aber ein Jahr auch mit vielen positiven Entwicklungen, schönen Ereignissen, ein Jahr, das ich mir anders vorstellte, das ich aber anders nicht mehr haben wollte – vor allem nicht mehr ohne diesen Hund.
Sie hat unser Leben verändert, ihm einen anderen Rhythmus gegeben. Jeden Tag. Sie hat auch unsere sozialen Kontakte verändert, die – wenn man es genau nimmt – abgenommen haben. Es ist nicht einfach, mit einem Hund auf einen Con zu fahren, auf eine Veranstaltung, wenn die Eigentümer der Locations Hunde ablehnen, weil irgendwelche Menschen auf der Welt irgendwelche Allergien haben – und man Zimmer offensichtlich nicht reinigen kann. Und selbst Hotels – vor allem in den unteren Chargen – stehen immer häufiger nicht mehr auf Hunde.
Aber wenn ich jetzt gleich mit ihr noch einmal an die frische Luft gehe, dann weiß ich, warum ich das tue. Nicht nur des Hundes wegen, sondern auch, weil es mir gut tut. (Ich bin auch mit Kims Vorgängerin nicht so viel gelaufen, wie mit ihr.)
P. S.: Eine Eigenschaft hat dieser Hund, die noch erwähnenswert wäre. Sie ist ein Kosenamengenerator. Sie erzeugt das unbremsbare Verlangen, Kosenamen zu erzeugen. Sie sind nicht nur, aber meist viersilbig, es kommen viele Viecher drin vor, und die Kombinationen sind seltsam, wenn auch oft naheliegend. Vom Schnuffelhasen über den Knuffelkäfer, von der Mausemaus über den Hasenzahn – bis hin zum Zeckentanker – ist so ziemlich alles dabei, was man sich unter Kosenamen für einen Hund vorstellen kann. Ich habe mir schon vorgenommen, sie irgendwann aufzuschreiben; aber andererseits kommt mir das vor, als wolle man eine Quelle von dem Ausstoß der Niagarafälle bändigen.