Die Freuden des Blues

Frank Schäfer
KLEINSTADTBLUES
10 Stories
MaroVerlag, Augsburg, Februar 2007, Paperback, 117 Seiten, ISBN 978 3 87512 282 4

Ich kenne Maro leicht fünfundzwanzig Jahre, denke ich. Mitte der 80er irgendwann begannen die Kontakte. Der kleine Verlag mit der zugehörigen Druckerei – oder umgekehrt, das Ganze manchmal auch MaroWerkstatt genannt (jedenfalls las ich die Bezeichnung letztens irgendwo) – war für das Fandom der 80er ein Stück Himmelreich. Die Möglichkeit, Fanzines in einer Qualität zu produzieren, die für damalige Zeiten ein simpler und finanziell nahezu unerreichbarer Traum war –

Wie meine Kontakte zu Maro begannen, weiß ich gar nicht mehr genau. Es ging ganz sicher um die Produktion von Magazinen, und irgendwann später kam die Texterfassung für den Verlag hinzu, als Benno Käsmayr meinte, ich würde offensichtlich so schnell und fehlerfrei tippen, dass das doch was für mich wäre. War es auch – bis heute. Benno brachte mich durch die Texterfassungsjobs damals mit Charles Bukowski und nach und nach auch anderen Autoren der Beat Generation in Kontakt, und das werde ich ihm ganz sicher niemals vergessen. Denn bei aller Liebe zu anderen Literaturgattungen – seit langer Zeit vor allem dem Krimi – ist es die Beat-Literatur von Bukowski, Sorrentino, Kerouac, Burroughs u. v. a. m., die mich bis heute fasziniert.
Umso besser gefällt es mir, dass Maro auch jenseits der Beat-Klassiker dieser Stilrichtung immer wieder treu zu bleiben gedenkt, und viele der Werke deutscher Autoren, die man bei Maro zu lesen bekommt, gehören vielleicht nicht direkt in diese Literaturgattung, lassen aber deutlich erkennen, wes Geistes der Verlagschef von Maro immer noch ist.

Das Buch von Frank Schäfer erhielt ich im Rahmen eines Buchgeschenks. Inzwischen ist das Gesamtvolumen der Texterfassungsarbeiten für Maro deutlich zurückgegangen; immer mehr Menschen haben einen Computer und liefern ihre Texte gleich so, wie man sie dort braucht. Und die Stückchen, die noch bleiben, lohnen eine Rechnungsschreibung nicht – oder, um der Ehrlichkeit Rechnung zu tragen, ich habe es nicht mehr nötig. Benno revanchiert sich mit einem Buchpaket – sic.

Die zehn Geschichten von Frank Schäfer sind Geschichten aus der unvergesslichen Jugend seines Protagonisten und der ersten Zeit danach. Friedrich steht vor allem im Mittelpunkt, aber auch einige seiner Kumpel, mit denen er es mal mit einer Heavy-Metal-Band versuchte.
»Blindgänger« erzählt von Friedrich und seinem Kumpel Franz, die zwei Mädels kennengelernt haben, mit denen nicht alles so läuft, wie sie sich das dachten; dass Friedrichs bestes Stück ihn im Stich lässt, ist das eine Problem, dass Franz‘ Eroberung nur auf ein Abenteuer aus ist, das andere. »Feuersalamander« ist ein etwas verstörendes Stückchen über die Zeiten, als man Kinder noch zu Kuren »verschickte«; das war zwar deutlich vor meiner Zeit, aber die Geschichte barg genug Erinnerungen an meine eigene Jugend, um mich zu treffen.
»Cry Baby« ist die herzzerreißendste Geschichte der Sammlung: Friedrich und Antonia werden Eltern, aber es ist eine Frühgeburt, und das alles ist wahrlich nicht einfach. Im wahrsten Sinne herzzerreißend. »Auf der langen dunklen Straße« ist dann die Fortsetzung der vorhergehenden Geschichte; ein wenig Zeit ist vergangen, der Alltag hat sich um das Kind herum entwickelt, und es gibt natürlich Probleme zwischen Antonia und Friedrich. Und die Kumpels helfen nicht wirklich dauerhaft. Wenn man es genau nimmt, sind diese beiden Geschichten das Zentrum dieses Buches, was die anderen Geschichten nicht unwichtiger macht, aber die Beziehung zwischen Antonia und Friedrich und die Rolle des Kindes hinterlassen den tiefsten Eindruck.
»Heidesand« ist ein kurzes Stück, das in einer Bäckerei spielt, eine Begegnung. »Die alten Sachen« handelt von Musik aus alten Zeiten, Rock, Hardrock, Heavy Metal, was Friedrich und seine Jungs halt so hörten, und eben von alten Sachen. In »Satellit« steht Friedrichs Kumpel Knüppel im Mittelpunkt; die Geschichte schildert das Ende seiner Beziehung mit Cathrin, handelt von einem ganz anderen Menschen, Knüppel eben, als Friedrich einer ist. In »Das war alles« ist wiederum Gerd der Protagonist, und auch hier geht es um ein Mädchen, eine Beziehung, ihr Scheitern nach nur kurzer Zeit. Und letztlich ist »Der schmutzige Rest« ein Erlebnis mit Mädchen der ganzen Truppe, Hannoveranerinnen, die in Hannover beim zweiten Treffen gar nicht mehr so toll sind wie beim ersten Mal.
»Totenköpfe« ist die abschließende und am weitesten in der Zukunft spielende Geschichte. Man trifft sich alle Jahre zu Weihnachten nach den Familienangelegenheiten wieder, und der Truppe gelingt es, Matze, denjenigen von ihnen, der sich immer versucht hatte, aus der Gruppe herauszuziehen, für einen Abend zu erobern; die letzte indirekt ausgesprochene Erkenntnis ist die, dass die alten Zeiten vorbei sind, auch wenn man sich vornimmt, sich weiterhin jedes Jahr zu Weihnachten zu sehen.

Das ist möglicherweise keine Beat-Literatur, wie angedeutet. Aber sie liest sich so, sie fühlt sich so an, sie wirkt so in meinem Kopf und in meinem Herzen. Das Buch habe ich verschlungen, an einem Stück, und am Ende wäre ich nicht traurig gewesen, wenn es noch ein wenig weitergegangen wäre. (Von Schäfer gibt es noch ein Buch bei Maro, »Pünschel gibt Stoff«, ich denke, das werde ich mir auch noch gönnen.)
Es dürfte mit ziemlicher Sicherheit eine Rolle spielen, dass mich dieses – und andere – Bücher in ihrem Stil an meine eigene Jugend erinnern, in zweierlei Hinsicht. Einmal an die Zeit, als ich anfing, für Maro Texte zu erfassen. Gut, das war keine Jugend mehr, im eigentlichen Sinne, aber doch so lange zurückliegend, dass es heute beinahe aussieht wie ein Teil meiner Jugend. Vor allem aber auch, weil viele der Dinge, die da geschildert werden, nicht nur so ähnlich bei mir abgelaufen sind, sondern vor allem auch so überhaupt nicht in meiner eigenen Jugend stattgefunden haben – außer vielleicht in meinem Kopf –, dass man zwangsläufig immer wieder denkt, dass das bei einem selber doch ganz anders war, und wie es war, und –
Schäfers Stil ist einwandfrei, einfach toll. Selbst wenn man diese Literaturgattung nicht mag, können einen die Geschichten fesseln. Es geht immer um Menschen, um Freundschaften, um Mädchen und ein bisschen Sex, natürlich, es geht um Dinge aus dem Leben, die wir alle eigentlich irgendwann irgendwie erlebt haben – oder eben auch nicht, uns dann aber danach sehnten –, und die man heute, da man älter geworden ist, trotz allem nicht verleugnen kann, und wenn man es doch tut, muss man sich für sich selbst schämen, wenn man in den Spiegel schaute.

Ein feines Buch. Danke, Benno.

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