Kann man. Muss man aber nicht

Margit Schönberger & Jörg Zipprick
100 DINGE, DIE SIE EINMAL IM LEBEN GEGESSEN HABEN SOLLTEN
Ludwig Verlag, München, 2011, Hardcover mit Schutzumschlag, 335 Seiten, ISBN 978 3 453 28025 0

VORBEMERKUNG
Ein Weihnachtsgeschenk meines Schwagers. Man könnte durchaus sagen: »Typisch.«

WORUM GEHT ES?
Um hundert Dinge, die man nach Meinung der Autoren einmal im Leben gegessen haben sollte. Das sind keine ganzen Gerichte, sondern einzelne Dinge – Nahrungsmittel, Lebensmittel, Spezialitäten, wie man es nennen möchte –, aus denen dann ganze Gerichte gemacht werden (können). Blumen, Fugu, Kaktusfeige, Languste, Orange, Reis. Solche Sachen.

WIE IST DER STIL?
Durchwachsen. In der alphabetischen und nicht thematischen Reihenfolge und im immer wiederkehrenden Schema wirkt das Buch bei einer durchgehenden Lektüre ein wenig langatmig, anstrengend.

WAS GEFIEL NICHT?
Die Rolle der Autorin. Sie wirkt größtenteils eher überflüssig. Wie eine Ansagerin, die längst aus der Mode gekommen ist. Eine Stichwortgeberin. Was alles noch zu verkraften wäre, wäre da nicht eine erkennbare »blonde Linie« in ihrem geschriebenen Wort zu erkennen.
Die allzu häufige Konzentration auf Frankreich, französische Küche, französische Quellen, französische Köche, Restaurants und kulinarische Institutionen. Nicht, dass nicht auch andere Provenienzen Erwähnung fänden, aber die Frankreichlastigkeit des Werkes insgesamt ist zu deutlich erkennbar. Und stört.

WAS GEFIEL?
Das vermittelte Wissen. Das Buch präsentiert durchaus nicht nur abgedrehte oder superluxuriöse Speisen, sondern durchaus im Großen und Ganzen sogar eher normale Nahrungsmittel wie Maronen, Linsen, Hasen und Pfirsiche. Dank des Autoren Zipprick in diesem Gespann erfährt man viele Dinge zu solchen Speisen, die man selbst auch schon verspeisen durfte – freilich ohne das Ziel zu haben, eine Top 100 aufzustellen oder zu vollenden –, die man vorher nicht wusste, die das Wissen vermehren und den Horizont erweitern. Das hat mich an zahlreichen Stellen hoch erfreut.

EIN PAAR ZITATE GEFÄLLIG?
Natürlich.

Eine der ganz wenigen Stellen, an denen die Schönberger überzeugen kann, ist die Einleitung zu »Fugu« (S. 77 f.):

Die Vorstellung, dass in den Meerestiefen ein Fisch haust, der so giftig ist, dass er nicht ohne verheerende Folgen genießbar ist, die hat mir immer schon gefallen. Wie langweilig wirkt dagegen eine Regenbogenforelle! Andererseits passt es gut zu uns Menschen, dass uns die Existenz dieses gefährlichen Tieres nicht ruhen und nicht rasten lässt – bis wir eine Lösung für das Problem gefunden haben. Ein Fisch, der für seine Zubereitung ein eigenes Studium erforderlich macht, das dazu noch die Geschicklichkeit eines Nanochirurgen erfordert, der muss wahrhaft göttlich schmecken! Oder nach seinem Genuss ein solches Glücksgefühl über das eigene Überleben auslösen, dass kaum etwas anderes an diese Hormonausschüttung herankommt.
Die Köche mit einer solchen Spezialausbildung erinnern mich an Jedi-Ritter und diejenigen, die sich diesem Nervenkitzel durch Verspeisen aussetzen, an Kriegsberichterstatter: Koch mir das Lied vom Tod. Oder ist das doch alles übertrieben?

Peinlich dann ein Fehler, der auch der Lektorin bei »Harissa« durchgerutscht ist (S. 94 f.):

Harissa scheint für die Menschen dort eine Allerweltswürze zu sein, so wie für uns früher Maggie, nur aus »natürlicheren« Zutaten.

Maggie … Thatcher oder was?

An mehreren Stellen, die nicht alle zitiert werden sollen, benutzt Zipprick den unsäglichen Unbegriff »Cerealien«. Man sollte dann doch einmal den Duden konsultieren, wenn man ein Buch schreibt, es lektoriert oder gar verlegt: Die Cerealien sind ein altrömisches Fest zu Ehren der Ceres, der Göttin des Ackerbaus; das Getreide oder auch die Feldfrüchte, die der Autor eigentlich meinte und deren guten alten deutschen Namen er offensichtlich vergessen hat, sind die Zerealien. Mit Z. Wie Zipprick.

Zum Thema Reis vermerkt Zipprick verschiedene Arten:

Rundkornreis etwa ist kürzer als 5 mm und bleibt beim Kochen meist klebrig. Mittelkornreis hingegen ist 5–6 mm und 1,5 bis 2,5 mm dick. Er bleibt beim Kochen körnig, beim Abkühlen klebt er zusammen. Es ist überhaupt eine Werbelegende, dass Reis nicht kleben darf. Nur Langkornreis, mindestens 6 mm lang, bleibt nach dem Kochen körnig.

Dazu fiel mir spontan beim Lesen ein, dass es überhaupt ein dummer Sch*** ist, dass Reis nicht nicht kleben darf, weil er sonst nicht cool ist. Oder bio. Ich jedenfalls bevorzuge körnigen, rieselnden Reis im Gegensatz zu klebriger und pappiger Reispampe.

Und zur Schokolade leistet sich Zipprick noch einen Geniestreich, den die Lektorin wohl übersehen hat:

Vorher, da war meine Welt zwar auch süß. Aber schokoriegelsüß, milchsüß, aus heutiger Sicht extrem überzuckert und noch dazu mit allerlei Erdnuss- oder Nussnougatcremefüllungen überzogen.

Etwas mit einer Füllung zu überziehen, das hat etwas von der Unwiderlegbarkeit der Hohlwelttheorie.

ZU EMPFEHLEN?
Nein.

Das ist allerdings völlig subjektiv und jedermann darf das anders sehen. Ich für meinen Teil halte es für unsinnig, eine solche Top 100 auf die Beine zu stellen und sie als etwas zu betiteln, das man getan, gesagt, gedacht oder gegessen haben muss. Ein nicht unerheblicher Teil der Speisen, die in diesem Buch erwähnt werden, interessieren mich schlicht nicht mehr als irgendein Fußballspiel; selbst das Topspiel aller Topspiele kann mich nicht vor die Glotze locken, und selbst die Topspeise aller Topspeisen bringt mich nicht an den Tisch.

NOCH WAS?
Ich erwähnte eingangs, das Buch sei als Geschenk typisch für meinen Schwager. Er ist ein Macho, wenn er sich auch laut seiner Schwester schon erheblich gebessert habe. Aber ein solches Buch passt zu ihm, ohne, dass dies in irgendeiner Weise abwertend oder anderweitig wertmindernd aufzufassen wäre.

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