Bad Sounds Pumping

Rob(yn) Thurman
NACHTGEISTER
Originaltitel: NIGHTLIFE (2006), Titelbild: Chris McGrath, Übersetzung a. d. Amerikanischen: Barbara Röhl, Piper Verlag, München, 2010, Taschenbuch, 412 Seiten, ISBN 978 3 492 26734 2

VORBEMERKUNG
Ich habe keine besondere Beziehung zu Büchern des Piper Verlages. Die, die ich bisher gelesen habe, waren okay. Was mich gerne auf einem solchen Buch mit dem Blick verweilen lässt, das ist die Optik. Die ist eigentlich immer recht ansprechend. Von der Gesamtkomposition her. Verlagslogo, Motivwahl der Titelabbildung, Schriftart. Passt alles. Aber es ist nicht so wie in früheren Zeiten, als man zu einem Heyne-SF-Buch greifen konnte, und solide Qualität in der Hand hielt. Heute wird man gerne auch mal nach Strich und Faden verarscht.

WORUM GEHT ES?
Der sogenannte Klappentext behauptet zunächst: »Vorsicht – diese Jungs sind heiß!« (Sowas macht mich immer misstrauisch …) Und: »Die Brüder Cal und Niko sind nicht nur äußerst attraktiv, sondern auch übersinnlich begabt. In New York haben sie alle Hände voll zu tun. Denn hier leben verführerische Vampirinnen an der Upper East Side und Trolle unter der Brooklyn Bridge. Cal, halb Mensch, halb magisches Geschöpf, ist stets auf der Flucht vor seinem dämonischen Vater. Als Cal in die Hände des Bösen fällt, ist seine einzige Rettung die schöne Hellseherin Georgie. Zusammen mit Niko begibt sie sich auf die Suche nach Cal …« Das – ist – ge–lo–gen! [Und zu dem »Raffiniert, charmant und übernatürlich gut!« der New York Times sage ich besser nichts.]
Irgendwo vorne, vor dem Impressum, gibt es noch eine Interpretationshilfe: »Cals Vater ist ein Dämon, wie man ihn sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht ausmalen kann. Mithilfe seines Sohns will er die Hölle auf Erden entfesseln, doch Cal kann sich befreien. Seither ist er auf der Flucht, immer zum Kampf bereit, immer wachsam und immer in Begleitung seines Halbbruders Niko. In der belebten Metropole New York wollen die beiden untertauchen. Doch eines Tages findet der Grendel sie und nimmt Cals Körper und Seele in Besitz. Selbst zum Dämon geworden, streift Cal auf der Suche nach Opfern durch die Stadt. Die Einzige, die ihn finden kann, ist Georgie, Cals heimliche Liebe und begabte Hellseherin. Und Niko muss sich bald entscheiden, wie weit er geht, um die Welt vor seinem Bruder zu retten …« Das – ist – dum–mes–Zeug!
Tatsächlich geht es um Niko, den Menschen, und seinen Halbbruder Cal, in dessen Adern dämonisches Blut fließt. Cal ist heißblütig, leichtsinnig, arrogant, dicklippig und überhaupt ein von Haus aus rechtes Arschloch, was es umso bewundernswerter macht, wie sich sein Bruder Niko für ihn aufopfert, um ihn zu beschützen, zu beschützen, und zu beschützen; neben dieser Hauptbeschäftigung ist Niko meist schlecht gelaunt, wenn man es genau betrachtet. Das Problem sind die Auphe, irgendwelche Dämonen aus irgendwelchen Gefilden, die nicht näher beschrieben, aber auch als Grendel bezeichnet werden, die versuchen, mit einem besonderen Geschöpf – Cal, sic! – ein Tor in die Vergangenheit zu öffnen, das es ihnen erlauben würde, die Menschheit »rückgängig« zu machen, die die Auphe – ganz überraschend – von der Weltherrschaft verdrängte. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um den ersten Band einer – sonst nicht weiter bezeichneten – Reihe handeln soll, kann man sich ausmalen, wie die Story ausgeht.

WIE IST DER STIL?
Schlecht. Gefühlte vier Fünftel des Buches bestehen aus aufgeblasenen Spruchhülsen, die nichts enthalten, die nichts aussagen und die vor allem die Handlung nicht vorwärts bringen. Beispiele gefällig? Gerne:

»Eine zerzauste, blond gebleichte Haarmähne war wildromantisch über eine viel zu muskulöse Schulter geworfen, bei der zumindest teilweise Anabolika im Spiel sein mussten. Ein rotes Seidenhemd – oder ein armer Verwandter aus Polyester – stand offen und enthüllte eine breite, haarlose Brust, auf der nur ein oder zwei Schnitte vom Rasieren prangten. Männlicher Schweiß bedeckte gemeißelte Züge, und blaue Augen brachten die Luft zum Kochen. Zugegeben, die Augen standen dichter zusammen, als der Durchschnitt attraktiv findet, aber ansonsten verstand Dschingis sein Geschäft, Frontmann einer Band zu sein und sexgeile kleine Mädchen zu beglücken. Ein hartes Leben, aber irgendjemand musste es ja tun. Mistkerl.« (Seite 77 f.)

»An der Haustür bremste ich nicht einmal. Das Schloss war immer noch defekt und die Tür flog auf, als ich dagegenprallte wie ein Zug mit defekten Bremsen. Rostige Angeln kreischten, und die Tür krachte so fest gegen die Wand, dass der Griff sich in den Putz grub. Das würde den Job unseres Vermieters sichern, für den Fall, dass er noch nicht genug damit zu tun hatte, später unsere Leichen wegzuräumen. Ich rannte die Treppen hinauf. Jede Sekunde davon spürte ich eine qualvolle Ungewissheit, weil ich darauf wartete, hinter mir das Kratzen von Klauen zu hören oder das geflüsterte Nicht mehr weglaufen, böser Junge, nicht mehr weglaufen. Als ich endlich oben ankam, waren meine Beinmuskeln verkrampft, und meine Seitenstiche fühlten sich an, als stieße mir jemand einen Eispickel zwischen die Rippen. Ich machte mir nicht die Mühe, nach meinem Schlüssel zu kramen. Stattdessen lehnte ich mich gegen die Wohnungstür und hämmerte mit der Faust gegen das Holz. ›Nik!‹ Meine Stimme war heiser, fast nicht zu erkennen, und ich saugte Luft in meine ausgehungerten Lungen.« (Seite 230)

»Eine Zeit lang sah ich bei den Kämpfen zu, flirtete zu Wolfgangs großem Missvergnügen mit Fang und hatte ein paar Drinks. Als ich wieder oben auf der Straße stand, hatte die Dämmerung bereits den Himmel verdunkelt, und die Abendkälte fuhr wie mit kühlen Fingern durch mein Haar. Stirnrunzelnd sog ich die kalte Luft ein und sehnte mich nach meinem warmen Hotelbett mit der glühend heißen Heizdecke. Doch dann beschloss ich, mir die gute Laune nicht durch das Wetter verderben zu lassen, ging die Straße entlang und spitzte die Ohren nach einem meiner liebsten Dinge auf dieser Welt, Musik. Natürlich war ich ein Fan. Musste ich ja, bei meinen Bansheeschwestern. Auch männliche Banshees sangen, nur aus anderen Gründen. Wir saßen nicht auf Schlosstürmchen und betrauerten den herannahenden Tod des Lords oder der Lady. Das war nichts für uns, nein danke. Den Tod zu bringen war eine Sache, nur herumzusitzen und darauf zu warten, eine ganz andere. Ich meine, wenn das nicht passiv-aggressiv war, was dann?« (Seite 279)

»Mit Niko zu spielen war wie ein Spiel mit dem Feuer, und jeder Pyromane könnte bestätigen, dass so etwas mehr Spaß macht als mit einem Fass voller tollwütiger Affen zu spielen.« (Seite 295)

Bilder. Nur Bilder. Lauter Bilder, die ich beim Lesen als ärgerlich und störend, als überheblich und großkotzig empfand und die – weil das ganze Buch im Grunde daraus besteht – das theoretisch mögliche Lesevergnügen auf die Fresse haute und nach den ersten zehn Seiten in die Wüste schickte.

WAS GEFIEL NICHT?
Der Stil. Siehe vorher.
Die Handlung. Im ersten Drittel des Buches passiert im Grunde genommen nichts. Gar nichts. Außer, dass sich die Protagonisten – und natürlich ganz voran der Ich-Erzähler Cal – ordentlich aufpumpen, lockere Sprüche machen, dumme, oft genug nicht funktionierende Bilder bauen und ansonsten einfach nur cool sind. Cool. Supercool. So cool, dass einem beim Lesen das Hirn einzufrieren droht. (Es kann allerdings auch andere Gründe haben, dass man mit dem Stoff nicht warm wird …)
Die Verarschung. Mir ist unklar, was Klappentext und der Text am Buchanfang überhaupt sollen. Niemand will die Hölle auf Erden entfesseln; die Menschheit soll einfach nur ausgelöscht werden (durch eine Romantasy-Variante eines Zeitreiseparadoxons). Cals Vater taucht nicht nur nicht auf, er kann von Haus aus keine Rolle spielen: er ist tot. Vampirinnen tauchen nicht in der Mehrzahl, sondern in Form einer einzelnen Vampirin auf; die mag auch verführerisch sein, aber das spielt für das Buch keinerlei Rolle. Und vor allem Georgie – oder George, wie sie im Buch heißt … »George hatte sich immer noch geweigert ihnen zu helfen.« (Seite 402) Und das hat sie, nebenbei bemerkt, im ganzen Buch getan, in dem sie überhaupt nur als Nebennebennebenfigur auftauchte. Bedeutungslos. Ärgerlich ist das vor allem, weil die eigentlichen Unterstützer der Versuche Nikos, seinen Bruder aus den Klauen eines Dunklings (! – keines Grendels!) [wobei der Dunkling sich selber als Banshee bezeichnet – auch so eine Verarschung; reicht denn eigentlich nicht ein Name für so ein Drecksviech?], der sich mit ihm zu einer neuen Persönlichkeit verband, überhaupt nicht erwähnt werden, eigentlich aber erwähnenswert wären.
Übrigens: Auf dem vorderen Umschlag steht noch »Ein Muss für alle Fans von Supernatural!« (Romantic Times). Das ist dann nicht mal mehr Verarschung, sondern schlicht Irreführung. Denn das bisschen Ähnlichkeit – die Brüder bei »Supernatural« haben einen völlig anderen Background – rechtfertigt so eine irreführende Anpreisung nicht. (Aber ich muss eh mal wieder bei der Verbraucherzentrale anrufen …)

WAS GEFIEL?
Sehr, sehr wenig. Das erste Drittel ist so schlecht, dass es vermutlich nicht mal brennt; im zweiten Drittel überlegt man sich, ob man es nicht doch mal versucht (das mit dem Brennen). Erst im dritten Drittel kommt es zu etwas, das ich als Handlung bezeichnen würde, erst da geht etwas vorwärts und es kommt ein leidliches Bisschen Spannung auf; aber für mehr als vierhundert Seiten ist das eindeutig zu wenig.

EIN PAAR ZITATE GEFÄLLIG?
Hatten wir oben. Genügend, glaube ich.
Oder?
Nun, ein hübsches Zitat – das einzige, glaube ich – hätte ich doch zu bieten:

»Haben Sie schon einmal den Ausdruck Spaßbremse gehört? Genau das sind die Menschen. Sie sind in der Lage, aus der Idee des Tötens, etwas so Reinem und Makellosem, ein Durcheinander aus Psychojargon, Leugnung und den Fesseln eines lächerlichen Rituals zu machen. Sie geben sich die größte Mühe, die pure Freude, die herrliche Schönheit dieses Akts zu ruinieren. Und trotzdem töten sie öfter, als wir das jemals getan hatten. Bewundernswert.« (Seite 286)

Und ein Stück Bockmist hätte ich noch:

»Niko tippte sich mit der Spitze des Pflocks nachdenklich ans Kinn. ›Sie wollen uns also erzählen, dass Vampirismus auf nichts weiter als einer Eisenmangelanämie beruht? Es fällt mix ziemlich schwer, das zu glauben, Miss Nottinger.‹« (Seite 131)

Eisenmangelanämie. Nun gut. Eine Anämie ist ein Blutmangel oder eine Blutarmut. Eine Eisenmangelanämie ist damit eine Eisenmangelblutarmut oder ein Eisenmangelblutmangel. Für mich ist der Begriff »Unsinn« oder »dummes Zeug«, das also, was der Duden für »Bullshit« zu erwähnen weiß.

ZU EMPFEHLEN?
Nein.
Für niemanden.
Für »Supernatural«-Fans sowieso nicht.
(Und sollte ich gezwungen sein, den nächsten Band auch zu rezensieren, werde ich es glaube ich probieren; das mit dem Brennen.)

NOCH WAS?
Ja. Ich verstehe nicht, wie man einem Buch, das im Original »Nightlife« heißt – ein Titel, der mit der Handlung überhaupt nichts zu tun hat –, in der deutschen Übersetzung den Titel »Nachtgeister« verpassen kann, von denen in dem Werk überhaupt keiner vorkommt.

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Diese Rezension ist auch erschienen in MAGIRA – JAHRBUCH ZUR FANTASY 2011, hrsg. von Hermann Ritter und Michael Scheuch, und zum Preis von EUR 14,90 zu bestellen auf www.magira-jahrbuch.de.

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