Abschluss mit Fragezeichen

Jay Lake
DIE RÄDER DER ZEIT
(Pinion, 2010)
Bastei Lübbe, Köln, April 2013, aus dem Amerikanischen: Marcel Bülles, Taschenbuch, 542 Seiten, ISBN 978 3 404 20685 8

VORBEMERKUNG
Ich war irritiert. Ich brauchte fast zweihundert Seiten, um bei diesem dritten Band der Lakeschen Steampunk-Trilogie den Eindruck zu haben, zu wissen, worum es ging. Die Lektüre des zweiten Bandes lag noch nicht allzu lange zurück – Dezember 2012. Und dennoch vermisste ich Erinnerungen an viele Details, teils auch an grundsätzliche Entwicklungen, die in diesem zweiten Band »Die Räder des Lebens« geschildert waren. Seltsam.

Ob das an dem Buch gelegen haben mochte? Oder einfach nur daran, dass ich doch sehr viel lese.

WORUM GEHT ES?
Die Ereignisse um Paolina Barthes und ihren »Schimmer« haben zu einem Krieg zwischen Chinesen und Briten geführt, der sich auszubreiten beginnt. Paolina hat derweil die südliche Welt erreicht – und kehrt später nach Norden zurück –, während die aus dem zweiten Band bekannten Figuren, sowie einige neue Figuren, die verschiedensten Wege beschreiten, um alle auf ihre Weise letztlich dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Projekte der Briten und Chinesen, die Mauer gen Süden zu durchdringen, nicht zum Erfolg gelangen. Und auch die Chancen, den Krieg zu beenden, bevor er die Welt ergriffen hat, wollen genutzt werden.
Am Ende gibt es Aussichten –

WIE IST DER STIL?
Wie gehabt: fesselnd, spannend, packend. Und nicht viktorianisch, sondern modern. Klare, eindeutige Sprache, die das Setting beschreibt, das den Steampunk auf den Leser wirken lässt.
Auch meine lange Phase, in der ich versuchte, in die Handlung hinein zu finden, hatte ich nie den Eindruck, abbrechen zu müssen, sondern war vielmehr immer bester Dinge, dass mich der Autor – und natürlich auch der Übersetzer – schon noch an den Punkt der einsetzenden Weisheit bringen würden. Sie haben es nicht immer und nicht in allen Details geschafft, aber am Ende spielte das nicht wirklich eine Rolle.

WAS GEFIEL NICHT?
Auch in Band 3 hätte eine Zusammenfassung des vorherigen Bandes geholfen.
Auch in Band 3 schien es Unklarheiten in der Übersetzung gegeben zu haben, Unklarheiten, die ganz offensichtlich erkennbar auf den Unterschieden in der englischen und der deutschen Sprache beruhen, mit bestimmten Aussagen bestimmte Dinge auszusagen. Will meinen: An manchen Stellen wirkte die Übersetzung wörtlich – und das kann keine gute Idee sein, nicht nur grundsätzlich, sondern gerade auch bei so einem durch den ständigen Perspektivwechsel komplexen Buch.

WAS GEFIEL?
Wie beim Vorgänger: alles.

EIN PAAR ZITATE GEFÄLLIG?
Habe ich, natürlich.

Ein klassischer Fehler, den auch eine Korrektursoftware selten abfängt:

[…] Doch man gewöhnte sich schnell an diese Gerüchte, und irgendwann nahm man sie nicht einmal mehr war.
(Seite 16)

Ein netter Gag, der ein wenig an Comics erinnert:

»…« Wang fehlten die Worte.
(Seite 27)

Fehlende Worte durch einen Dreipunkt darzustellen, ist eigentlich überflüssig, aber hier ein durchaus netter kleiner Gag.
Tragische Tippfehler, die den Sinn eines Satzes völlig verändern:

Childress musste über sich selbst lachen, und ihre glockenhelle Stille war an diesem warmen asiatischen Morgen deutlich zu vernehmen.
(Seite 42)

Und weitere Ungeschicklichkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache:

Vor ihnen arbeitete eine ältere Frau in einem eleganten Kleid vor einer weiteren ungeschlachten Maschine an einem Stück eingerahmten Stoff; […]
(Seite 48)

Und auch die Figurensortierung bereitet manchmal Probleme:

Wang mochte Blut nicht.
»Sie wurden gerufen, nicht geschickt«, sagte Wang nach einiger Zeit.
Wang war überrascht, die Worte des Mönchs wiederholt zu hören. »Das hat man mir gesagt«, antwortete er daher vorsichtig.

(Seite 63)

Auf den ersten Blick liest sich das wie ein Selbstgespräch, aus dem Gesamtzusammenhang heraus, ist es aber nicht Wang, der »Sie wurden gerufen, nicht geschickt« sagt, sondern der Mönch (der nebenbei auch eine Merkwürdigkeit unter den Figuren darstellt, die man auf die Übersetzung zurückführen könnte – denn der Mönch, vermutlich namens Wu, ist in Wirklichkeit eine Frau, weshalb immer wieder von »ihr, dem Mönch« geschrieben wird; sehr gewöhnungsbedürftig …).
Dazu noch ein Beispiel, dazu noch fehlerhaft:

»Sie ist niemand«, knurrte Wang. »Ein Mönch ohne Namen, die der richten Weltordnung unter dem Himmel keinen Respekt zollt.«
(Seite 277)

Nunja … Wang kennt Wus Namen, den Namen der … hm, Mönchin?
Der Showdown des Romans spielt unter anderem auf Malta, in Valletta, und hier zeigt sich, dass weder Autor noch Übersetzer besondere Ahnung von Valletta hatten und haben:

[…] Diese Göttin ist sehr alt, älter wohl als die meisten Gebäude, die es heute auf Malta gibt. Sie ist Teil der Katakomben, die sich unter der gesamten Stadt erstrecken. Dass wir uns auf sie konzentrieren, hat nichts mit Hierarchien zu tun. Sie ist in der Lage, unsere Aussagen aufzunehmen und wohlüberlegt an uns zurückzugeben.«
(Seite 487)

Dieser Irrtum ist nicht der Tatsache geschuldet, dass es sich um einen Fantasy- bzw. Steampunkroman handelt, sondern einfach Unkenntnis.
Die Erdgöttin, um die es hier geht, ist ganz sicher älter als alle Gebäude, die es auf der ganzen Welt gibt – nur nicht älter als die megalithischen Tempel Maltas. Und nicht nur gibt es unter Valletta keine Katakomben, sie sind, so zahlreich, wie sie auf Malta als solche zu finden sind, nicht alt genug, um in einem direkten Zusammenhang mit der Erdgöttin zu stehen. Und nein – das Hypogäum von Ħal Saflieni stellt keine Katakomben dar.
Aber genug der Klugscheißerei …
Zum Abschluss noch zwei weniger hübsche Fehler:

Paolina drehte die geriffelte Aufzugskrone und rief das Unterseeboot zu ihr.
(Seite 501)

Childress drückte sie gegen die linke Wand, wo die Chance, von einem Fehlschläger getroffen zu werden, am geringsten war.
(Seite 515)

ZU EMPFEHLEN?
Unbedingt.

Ich habe noch Band 1 auf meinem Kindle liegen, und ich denke, ich werde bei Gelegenheit – seufz, das könnte in zwölf Jahren sein, wenn ich endlich in Rente gehen kann – alle drei Bände noch einmal lesen. Unabhängig von meinen Schwierigkeiten mit beiden Bänden, in die Handlung zu finden, bin ich nicht bereit, die Schuld dafür dem Autor zu geben, als sie vielmehr bei mir zu suchen, zum einen, weil ich Band 1 nach wie vor nicht kenne, zum anderen, weil ich vermutlich mehr lese, als einer guten und länger anhaltenden Erinnerung an ein Buch, vor allem eines mit Anspruch, förderlich ist.

Ich empfehle allerdings wie auch beim zweiten Band, die beiden Vorgänger gelesen zu haben.

NOCH WAS?
Ja. Bemerkenswert finde ich, dass die Trilogie mit praktisch einen Cliffhanger endet. Eine der finalen Aussagen auf den letzten Seiten ist: »Es ist der Anfang«, und: »Es ist immer nur ein Anfang«. Es sind mir keine Gerüchte bekannt, nach denen Jay Lake in diesem Universum weiter schreiben würde, aber unvorstellbar ist es eigentlich nicht – nicht nur im direkten Anschluss an die ja eigentlich unvollendete Handlung, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, dass dieses Zahnraduniversum doch noch einige reizvolle Plots in sich bergen könnte.

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