Scream, Horror, scream!

Harald A. Weissen
BEGEGNUNG MIT SKINNER
Scream Horror Band 1, Sieben Verlag, Ober-Ramstadt, 2010, Paperback, 200 Seiten, ISBN 978 3 940235 98 5

Tja.

Was Horror in Literatur, Film, Fernsehen, Radio usw. usf. ist, weiß heute jedes Kind. Was »Scream» bedeutet, erahnt jeder, der die Filme gesehen hat. Und dann geht der Sieben Verlag her und lässt Alisha Bionda eine neue Reihe namens »Scream Horror« erfinden. Das interessierte mich, also bat ich um ein Reziexemplar. Das ich auch erhielt.

Ich bin ein Leser mit Prinzipien. Wenn ich ein Buch lesen will, dann muss es mich interessieren. Wenn ich es anfange, lese ich es auch zu Ende – komme, was wolle. Und ich bin ein konsequenter Mensch. Das ist manchmal ein Fehler. Ein Fehler, der viel Kraft kostet. Zeit. Und Energie.
Ich kannte von Harald Weissen eine einzige Story – »Eldorado«, die ich in einer früheren ANDROMEDA NACHRICHTEN-Ausgabe des SFCD veröffentlichen durfte. Und ein Interview, das, wenn ich mich ohne Nachschlagen recht entsinne, in den ANDROMEDA NACHRICHTEN 229 oder 230 enthalten war. »Eldorado» gefiel mir ausnehmend gut. Das Interview letztlich ließ keinen Zweifel daran, dass der Autor von »Eldorado« der war, der zu »Eldorado« passte.
Und dann das –

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
Die Handlung. Gut. Laut Klappentext geht es um einen Kontrollraum, der das ganze Schicksal der Menschheit entscheidet, um die Frage, ob der Leser sich vorstellen könne, wenn jemand diesen Kontrollraum beherrschte, der nicht alle Tassen im Schrank hätte, und um die Suche von diversen Hauptpersonen nach diesem Kontrollraum. Tatsächlich geht es nicht um den Kontrollraum.
Der wäre noch ein wertvoller, vorwärtspushender Gag dieses Romans gewesen, aber nein. Der Kontrollraum wird vielleicht fünfzehn, zwanzig Mal erwähnt, mehr nicht. Ansonsten geht es um ein Mädchen namens Laika, das bei einem Unfall Verstand, Kreativität und noch eine Eigenschaft verloren hat, die nur ganz am Rande eine Rolle spielt. Und um Skinner, einen uralten Dämon, der irgendwann durch Jack the Ripper in seinem Körper festgehalten wurde und auf andere Weise für Unsterblichkeit sorgen musste. Und um den Schatten von Pompeji. Und was auch immer.
Die ganze Handlung ist völlig belanglos. Uninteressant. Völlig unwichtig. Es ist nicht so, dass Weissen nicht schreiben könnte, im Gegenteil. Das bisschen Lektorat, das seinem Werk vielleicht gefehlt hat, hat er durch seinen Stil leicht wettgemacht. Mehr Korrektorat hätte dem Werke gut getan, aber es gibt heute zu viele Menschen, denen der Duden nicht mehr ist als ein Türstopper oder allenfalls noch Schwiegermuttermörder. Das ist es alles nicht. Nur reichen die tollen Worte des Autors nicht, um eine belanglose, uninteressante Handlung vorwärts zu bringen, sie so zu gestalten, dass sie packt, fesselt, dass sie auch nur annähernd in der Lage wäre, Spannung zu erzeugen, Horror … Schreie … »scream« …
Nichts dergleichen geschieht. Laika, ihr Verstand, später auch ihre Kreativität, Skinner, die alle zockeln so durch eine Handlung, die mal hierhin, mal dorthin weist, die mal dies andeutet, mal das verleugnet, in der sich aber von vornherein nichts ereignet, und auch im Nachhinein nichts stattfindet. Es passiert einfach nicht wirklich etwas, es wird nur Schaum geblasen, Seifenblasen gepoppt, Wort um Wort geschrieben, um was zu beschreiben … tja. Nichts. Einfach nur nichts.

Ich bin, wie gesagt, ein Leser mit Konsequenz. Ich versuche, ein Buch schnellstmöglich zu lesen, nicht oberflächlich, aber so, dass ich nach jeder Pause noch weiß, worum es zuvor ging. Selbst wenn ich bei diesem Buch nur dreißig Minuten Pause machte, hatte ich alles von dem vergessen, was vorher eben nicht geschah, weil nichts geschah, und wenn etwas zu geschehen schien, war es nicht wichtig, belanglos, überflüssig.
Am Ende war nichts übrig. Doch, zwei Erkenntnisse.
Harald Weissen hat sich mit seinem Werk keinen Gefallen getan, und Alisha und der Verlag haben ihm keinen Gefallen getan, es zu veröffentlichen. Harald hat einen guten Stil, er schreibt gut, aber an diesem Thema hat er sich völlig vergriffen. Ganz am Ende mag man erahnen, worum es wirklich ging – um die Selbstfindung einer durch einen fürchterlichen Unfall ebenso fürchterlich erschütterten jungen Menschenpersönlichkeit –, aber das ist einfach nicht genug, und der Weg zu dieser winzigen, möglicherweise leicht zu übersehenden Erkenntnis ist mit völlig falschen Steinen gepflastert.
Und der Verlag hat einen Fehler gemacht, mit diesem Werk eine neue Reihe namens »Scream Horror« einzuleiten, denn nichts an diesem Werk ist Horror – sieht man von einigen wirklich ekligen Beschreibungen ab, die gegenüber jedem noch so wüsten Splatterstreifen nur übel stinken –, nichts lässt dich an einen Schrei – »Scream« – denken, nichts lässt dich auch nur annähernd gruseln.
Der schlimmste Grusel für mich war und ist, dieses Buch weiter oder noch einmal lesen zu müssen.

Noch ein Wort zum Handwerklichen, wie bei mir üblich.
Das Format ist nicht ganz A5, liegt aber sehr nahe. Okay. Aber in Romanen, gleich welcher Länge, verwendet man keine Kopfzeilen – schon keine mit einer Unterlinie. Auch die die Absätze innerhalb der Kapitel trennenden Stilelemente sind zu heftig. Immerhin wusste der Layouter, dass man den ersten Absatz nicht einrückt …
Dass das Cover aufrollt und nicht wieder zurückgeht, wenn man es trockener Luft aussetzt, ist vermutlich einmal mehr einem miserabel produzierenden Partner von Books on Demand, Norderstedt, zu verdanken. Bei denen lässt auch der Sieben Verlag produzieren – das ist beinahe zu offensichtlich.

One Reply to “Scream, Horror, scream!”

  1. >>> es gibt heute zu viele Menschen, denen der Duden nicht mehr ist als ein Türstopper oder allenfalls noch Schwiegermuttermörder.

    Sehr hübsch formuliert.
    Zum Rest schweige ich aus beruflichen Gründen. :-)